Liebe direktzu®-Nutzer,

32.000 Menschen haben abgestimmt, mehr als 650 Fragen wurden beantwortet – dies ist die Bilanz der Bürgerdialogplattform „Direktzu Stuttgart 21“, die im September 2010 online ging. Seitdem wurde von unseren Fachleuten detailliert Stellung bezogen zu vielen Themen rund um das Bahnprojekt Stuttgart–Ulm. Alle unsere Antworten auf Ihre wichtigsten Fragen finden Sie hier auf dieser Plattform.

Seit 2010 hat sich das Projekt grundlegend verändert. Es geht nicht mehr um das „ob“, sondern um das „wie“. Nach Jahren der Planung und des politischen Diskurses treten die Umsetzung des Bahnprojektes und damit die Bauarbeiten immer mehr in den Vordergrund, was an vielen Stellen der Stadt und entlang der Autobahn nach Ulm zu sehen ist.

Für die zunehmenden Fragen rund ums Bauen haben wir ein „Informationszentrum“ eingerichtet, über welches sich insbesondere betroffene Bürgerinnen und Bürger rund um die Uhr an sieben Tagen pro Woche über das aktuelle Baugeschehen informieren können.

Wir freuen uns weiterhin über Ihr Interesse an unserem Projekt.

Beantwortet
Autor Karl Birkenmaier am 06. September 2011
19946 Leser · 37 Stimmen (-13 / +24)

Durchgangsbahnhof: Kapazität, Architektur, Barrierefreiheit

Fadenscheiniges Argument zu S 21

Sehr geehrte Damen und Herren, ein gutes Argument für S21
soll ja die Möglichkeit sein, RE/IRE Züge in sogenannten Durchmesserlinien zu führen. Zum Bsp. Singen(Htw)-Ulm.
Durchgehende Verbindungen sind aber bei S21 auch erforderlich, um die Gleise schnell für den nächsten Zug freizubekommen.
Bevor ich meine Frage loswerde, noch kurz meine Überlegung.

Ulm Hbf: RE Züge von Stg. werden bis Neu-Ulm geführt,da dort
Gleise frei sind, aber nicht weil Reisebedarf besteht.

Karlsruhe Hbf: Obwohl auch Durchgangsbahnhof, kein RE/IRE
wird hier durchgebunden. z.Bsp. Heidelberg-Freiburg. Heute ist
2-maliges Umsteigen erforderlich !!! Reisebedarf wäre sehr wohl
vorhanden. Zählen Sie bitte die Umsteiger in Offenburg !!!
Fazit : Keine Durchbindung im ÖPNV, trotz Durchgangsbahnhof.

Die DB führt heute mit Erfolg RE/IRE Züge als sog. Pendellinien
von Knoten zu Knoten, z.Bsp. Karlsruhe-Stuttgart-Karlsruhe.
Grund: schnelle Gleisräumung und optimale Km-Leistung des Zuges. Finde ich gut so.

Meine Fragen lauten :
Haben die S 21 Projektpartner es denn nötig, der Öffentlichkeit
ein "Gutes Argument" anzupreisen, das in Wirklichkeit eine
betriebstechnische Notwendigkeit ist.(schnelle Gleisräumung)?

Mangelt es denn dem Projekt an anderen guten Argumenten ?

Viele aufmerksame Bahnkunden stellen sich auch diese Fragen.
Mit Interesse erhoffe ich Ihre Antwort zu erhalten.
Vielen Dank!

mfG. Karl Birkenmaier

+11

Über diesen Beitrag kann nicht mehr abgestimmt werden, da er bereits beantwortet wurde.

Antwort
von Wolfgang Dietrich am 03. November 2011
Wolfgang Dietrich

Sehr geehrter Herr Birkenmaier,

vielen Dank für Ihre Überlegungen und Ihre Frage, die ich gerne beantworte.

Sie sprechen an, dass der Durchgangsbahnhof keine Vorteile für die Bahnkunden habe. Dem stehen eine Vielzahl von Fakten entgegen.

Abgesehen von den deutlich kürzeren Umsteigewegen durch die drei Verteilerstege, den deutlich verbesserten Zugangsmöglichkeiten zu den Bahnsteigen und einem direkten Zugang zur S-Bahn, hat der neue Hauptbahnhof auch eine deutlich höhere Leistungsfähigkeit und betriebliche Flexibilität, was im Stresstest bewiesen wurde.

In der Regel sind Durchgangsbahnhöfe bezogen auf ihre Bahnsteiggleiszahl deutlich leistungsfähiger als Kopfbahnhöfe. Das liegt daran, dass sie insgesamt schneller befahren werden können und wesentlich weniger Konflikte zwischen ein- und ausfahrenden Zügen aufweisen. Konkret auf die neue Infrastruktur in Stuttgart bezogen, hat der Stresstest nachgewiesen, dass 49 ankommende Zügen zur Spitzenstunde gut zu bewältigen sind. Es wäre dabei sachlich nicht zutreffend, zu behaupten, dies sei nur mit größten Mühen und Kunstgriffen gelungen und dass daraus unverhältnismäßig kurze Haltezeiten entstünden.

Der neue Hauptbahnhof mit seinen Zulaufstrecken weist vielmehr in beinahe jeder Hinsicht noch erhebliche Reserven auf, wie einige Aspekte zeigen:

1) Die durchschnittliche planmäßige Haltezeit der 49 zur Spitzenstunde im Hauptbahnhof ankommenden Züge liegt mit knapp sechs Minuten deutlich über den zum bloßen Fahrgastwechsel anzusetzenden zwei bis drei Minuten. 2) Durch die vereinzelte Doppelbelegungen von Bahnsteiggleisen können die Potentiale der neuen Infrastruktur zur Spitzenstunde besser genutzt werden. Im Stresstest-Fahrplan fuhr dabei bei lediglich vier von 49 Zügen ein Zug in der hinteren Gleisabschnitt ein, während im vorderen Gleisabschnitt ebenfalls ein Zug zum Fahrgastwechsel stand. Waren im ersten testierten Simulationslauf noch fünf solche Doppelbelegungen im engeren Sinn geplant, gelangt es durch geringfügigen Optimierungen für den letzten Simulationslauf, eine weitere Doppelbelegung aufzulösen. Durch weitere Optimierungen der Fahrplankonzeption in den kommenden Jahren könnte die Leistungsfähigkeit und Betriebsqualität der neuen Anlagen noch weiter gesteigert werden. 3) Die Möglichkeiten moderner Leit- und Sicherungstechnik (insbesondere ETCS) wurden im Stresstest so gut wie gar nicht berücksichtigt. Sollten in ferner Zukunft wesentlich mehr als 49 Züge im neuen Hauptbahnhof zur Spitzenstunde verkehren, wäre es damit beispielsweise möglich, Züge dichter aufeinander folgen zu lassen und einen nachfolgenden Zug ins Bahnsteiggleis einfahren zu lassen, noch bevor der vorausfahrende Zug dieses vollständig geräumt hat. 4) Auch die Zu- und Ablaufgleise können noch mit wesentlich mehr Zügen belegt werden. Sollte die Angebotsnachfrage weiter steigen, sind diese Strecken hierfür ausgelegt oder ohne Probleme erweiterbar, wie das Beispiel der Zulaufstrecke aus Zuffenhausen zeigt. Hier wird im Rahmen der Realisierung eine Option für ein 3. und 4. Gleis (die sog. P-Option) bereits berücksichtigt.

Eine rein auf Durchsatz optimierte Betriebsführung unter Vernachlässigung von Betriebsqualität und Verkehrsbedarf – wie sie unlängst auch in einem Auftragsgutachten zur Ermittlung der Leistungsfähigkeit des bestehenden Kopfbahnhofs unterstellt wurden – würde etwa doppelt so viele Zugfahrten wie im Stresstest dargelegt ermöglichen.

Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass über das konkrete Zugangebot im Regionalverkehr in Baden-Württemberg die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW) entscheidet.

Die neuen durchgebundenen Linien nutzen die Möglichkeiten des schnell befahrbaren und konfliktarmen neuen Stuttgarter Hauptbahnhofs konsequent aus. Viele Reisende im baden-württembergischen Nahverkehr profitieren somit nicht nur von kürzeren Reisezeiten, sondern auch von weniger Umstiegen und viel mehr Direktverbindungen. Welche Regionalzüge auf welchen Linien tatsächlich ab 2020 verkehren werden, wird voraussichtlich in den Jahren 2018/19 festgelegt. Soweit gewünscht, ist es dabei auch mit der neuen Infrastruktur von Stuttgart 21 durchaus möglich, Züge wenden und auf demselben Weg zurückfahren zu lassen. Wie auch schon heute können im zukünftigen Hauptbahnhof Züge wenden (mit einem technisch bedingten Zeitaufwand von wenigstens vier Minuten) oder beispielsweise auch über den neuen Schienenring ohne Fahrtrichtungswechsel in dieselbe Richtung zurückfahren.

Ein solcher Ringverkehr wurde im Stresstest auf den Linien Göppingen–Stuttgart–Göppingen, Ulm–(Neubaustrecke)–Stuttgart–(Bestandsstrecke)–Ulm und Nürnberg–Stuttgart–Nürnberg auch vorgesehen.

Wie Sie sehen, hat der neue Stuttgarter Hauptbahnhof viele betriebliche Vorteile, die auch dem Kunden zugutekommen.

Ich hoffe, Ihre Frage zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet zu haben und verbleibe

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Dietrich