Liebe direktzu®-Nutzer,

32.000 Menschen haben abgestimmt, mehr als 650 Fragen wurden beantwortet – dies ist die Bilanz der Bürgerdialogplattform „Direktzu Stuttgart 21“, die im September 2010 online ging. Seitdem wurde von unseren Fachleuten detailliert Stellung bezogen zu vielen Themen rund um das Bahnprojekt Stuttgart–Ulm. Alle unsere Antworten auf Ihre wichtigsten Fragen finden Sie hier auf dieser Plattform.

Seit 2010 hat sich das Projekt grundlegend verändert. Es geht nicht mehr um das „ob“, sondern um das „wie“. Nach Jahren der Planung und des politischen Diskurses treten die Umsetzung des Bahnprojektes und damit die Bauarbeiten immer mehr in den Vordergrund, was an vielen Stellen der Stadt und entlang der Autobahn nach Ulm zu sehen ist.

Für die zunehmenden Fragen rund ums Bauen haben wir ein „Informationszentrum“ eingerichtet, über welches sich insbesondere betroffene Bürgerinnen und Bürger rund um die Uhr an sieben Tagen pro Woche über das aktuelle Baugeschehen informieren können.

Wir freuen uns weiterhin über Ihr Interesse an unserem Projekt.

Beantwortet
Autor Thomas Graf am 14. Januar 2013
20242 Leser · 13 Stimmen (-2 / +11)

Finanzen: Kosten, Nutzen, Bedarf

Wirtschaftlichkeit? Die 2.

Sehr geehrter Herr Dietrich,

ich beziehe mich auf Ihre Antwort zur Frage nach der Wirschaftlichkeit von Stuttgart 21 trotz der Mitte Dezember bekanntgewordenen Kostensteigerungen und weiteren Kostenrisiken:
http://direktzu.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/stuttgart21/...

Sie schreiben, daß "das Fortsetzen des Projektes für die DB deutlich wirtschaftlicher" sei und sich "trotz der Erhöhung des Anteils des DB-Eigenkapitals an Stuttgart 21 auf rund 2,8 Milliarden Euro" ... "nach derzeitigem Stand für die DB noch eine geringe Rendite erzielen" läßt.
Offenkundig ist aber der Bau von Stuttgart 21 nicht risikolos, vergl. das Papier von Hany Azer mit 121 Risiken: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.studie-zu-stuttg...

Hier drängen sich mir gleich mehrere Fragen auf, da ich aber nur eine Frage pro Beitrag stellen darf, will ich mich auf die Kernfrage beschränken:

Es gibt etliche Projekte im Vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans, die eine wesentlich größere Rendite versprechen, z.B. die Rheintalschiene.
Erklären Sie mir bitte, was deutlich wirtschaftlicher daran sein soll, wenn die Bahn ihr Kapital in einem Projekt mit einer "noch geringen Rendite" und 121 Risiken bindet, obwohl sie an anderer Stelle damit eine größere Rendite mit vergleichsweise geringerem Risiko erzielen könnte?
Zur Erläuterung meiner Frage ein Beispiel:
Ich möchte mein Kapital gewinnbringend und sinnvoll anlegen. Dafür werden mir zwei Möglichkeiten vorgeschlagen. Die Möglichkeit 1 erzielt "noch eine geringe Rendite" mit 121 Risiken. Die Möglichkeit 2 erzielt eine gute Rendite bei weniger Risiko. Was ist also deutlich wirtschaftlicher daran mein Kapital in Möglichkeit 1 zu stecken?

Bitte verschonen Sie mich mit dem Hinweis auf die Ausstiegskosten. Abgesehen davon, daß die Höhe höchst strittig ist, sind die versunkenen Kosten nach Rolf Dobelli für die weitere Entscheidung irrelevant. Dieses Geld ist weg (untergegangen) und läßt sich auch . Tatsächlich dürfen diese Kosten überhaupt keine Rolle spielen, wenn das Projekt sinnlos, zu teuer oder unkalkulierbar geworden ist.
Deswegen habe ich mein Beispiel bewußt so gewählt, weil daran nachvollziehbar wird, daß die Vorgeschichte für die Wirtschaftlichkeit einer Entscheidung (für Möglichkeit 1 oder 2) keine Rolle spielt.

Vielen Dank für eine klare und erhellende Antwort.

Mit freundlichen Grüßen
Thomas Graf

+9

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Antwort
von Wolfgang Dietrich am 18. September 2013
Wolfgang Dietrich

Sehr geehrter Herr Graf,

gerne nehme ich zu Ihrer anschaulichen Frage Stellung und bitte um Entschuldigung für die entstandene Wartezeit. Wir haben in der Zwischenzeit vielfach zu den Hintergründen der nochmaligen Überprüfung des Projekts und der darauf aufbauenden Erhöhung des Finanzierungsrahmens Stellung genommen.

Gerade auch weil versunkene Kosten bei rationalen Investitions- entscheidungen keine Rolle spielen dürfen, hat sich der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn nach gründlicher Prüfung neuer Erkenntnisse am 5. März 2013 entschieden, den Finanzierungsrahmen für das Projekt Stuttgart 21 frühzeitig anzupassen. Damit wird den in letzten Jahren unter schwierigen Umständen gewonnenen neuen Erkenntnissen ohne Umschweife Rechnung getragen. Die Realisierung von Stuttgart 21 ist somit lange vor Erreichen des bisherigen Finanzierungsrahmens (4,526 Mrd. Euro) und selbst beim Eintritt von Worst-Case-Szenarien sichergestellt. Die Bahn hat dabei kein Blatt vor den Mund genommen und umfassend die Hintergründe dieser Entscheidung dargestellt. Auf unserer Homepage finden Sie dazu zahlreiche Informationen.

Mit dem Finanzierungsvertrag von 2009 hat sich die Deutsche Bahn verpflichtet, Stuttgart 21 zügig umzusetzen. Eine Kündigung des Vertrages nach dem Baubeginn war und ist nicht möglich. Schon deshalb ist die Bahn - auch wenn sie das Projekte mit dem heutigen Wissen nicht mehr beginnen würde - zur Realisierung von Stuttgart 21 verpflichtet.

Ungeachtet dieser eindeutigen rechtlichen Verpflichtung wäre auch rein wirtschaftlich ein Ausstieg aus Stuttgart 21 nicht vernünftig gewesen. Ein Abbruch des Projekts hätte die Bahn schon Ende 2012 zwei Milliarden Euro gekostet. Mit jedem Tag und jedem weiteren Baufortschritt steigen die bereits verausgabten Kosten und damit auch deren Anteil an den Gesamtkosten. Diese Kosten sind bei Bauprojekten weitgehend "versunken", also durch Verkauf oder andere ökonomische Handlung nicht wiederzugewinnen. Bei laufenden Projekten heißt das nichts anderes, als dass das laufende Projekt gegenüber Alternativen, die praktisch bei null anfangen müssten, von Tag zu Tag günstiger wird.

In den Ausstiegskosten von zwei Milliarden Euro wäre der Aufwand für die dringend notwendige Sanierung der weitläufigen Bahnanlagen des Stuttgarter Hauptbahnhofs, aber auch längst überfällige Ausbaumaßnahmen sowie Fahrzeitverkürzungen im Übrigen noch gar nicht enthalten gewesen.Dafür wären weitere Investitionen in Milliardenhöhe erforderlich. Es ist nicht verwunderlich, dass Stuttgart 21 als die beste Variante aus allen sachlichen Vergleichen hervorging.

In Ihrem Beispiel haben Sie im Übrigen einige ganz wesentliche Umstände ausgeblendet. So sind Großprojekte immer mit einer Vielzahl von Chancen und Risiken verbunden, die es sorgfältig abzuwägen, in die Kalkulation mit einzubeziehen und bei Investitionsentscheidungen zu berücksichtigen gilt. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass bei Stuttgart 21 oft einseitig Risiken im öffentlichen Fokus stehen und von manchen der Eindruck erweckt wird, die Risiken von Stuttgart 21 seien unüberschaubar. Doch egal auf welchen Aspekt des Projekts der Fokus gerichtet wird - landauf, landab wurden in unserem Land längst ähnliche Projekte relativ geräuschlos bewältigt.

Im Gegensatz zu fast allen anderen großen deutschen Eisenbahnprojekten ist Stuttgart 21 auch ein eigenwirtschaftliches Projekt der Deutschen Bahn. Während beispielsweise der von Ihnen angesprochene Ausbau der Rhein- talbahn weitestgehend vom Bund finanziert wird, trägt die Deutsche Bahn bei Stuttgart 21 den größten Anteil an der Finanzierung. Diese unterschiedlichen Töpfe - die eben nicht einfach beliebig vermischt werden können - sind eines der zentralen Missverständnisse in Diskussionen um die Kosten und die Finanzierung von Stuttgart 21.

Ich möchte Sie einladen, sich anhand der auf unserer Homepage bereitgestellten Informationen selbst ein Bild zu machen und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Dietrich