Sehr geehrter Herr Zipperer,
sie fragen, ob bei Stuttgart 21 die abschüssige Strecke vom Flughafen zum Hauptbahnhof und die dadurch erforderlichen Sicherheitsabstände den Vorteil des Durchgangsbahnhofs wieder aushebeln.
Schon heute ermöglicht es die moderne Leit- und Sicherungstechnik, dass Triebfahrzeugführer entsprechend früh über Signalstellungen informiert und gegebenenfalls zum Halten aufgefordert werden. Diese Aufgabe übernimmt heute die Punktförmige Zugbeeinflussung (PZB 90). Sie informiert den Triebfahrzeugführer bereits am Vorsignal über die Stellung des Hauptsignals und stellt den erforderlichen Bremsweg sicher. In ausgewählten, sensiblen Bereichen werden dem Triebfahrzeugführer heute durch die Linienzugbeeinflussung (LZB), die Signalzustände sowie Abstände zu Hindernissen im Führerraum anzeigt. Der Triebfahrzeugführer fährt den Zug quasi auf elektronische Sicht.
Bei Stuttgart 21wird mit dem European Train Control System (ETCS) die Entwicklung der Leit- und Sicherungstechnik im Eisenbahnverkehr fortgeschrieben. Mit dem zukünftig eingesetzten ETCS erhält ein Zug zusätzlich Informationen über die Streckenneigung zur Berechnung der Bremskurve. Demnach gibt es explizit keine Sicherheitsabstände im Fildertunnel.
Zu Ihrer Frage nach der Leistungsfähigkeit des neuen Durchgangsbahnhofs gegenüber dem bestehenden Kopfbahnhof: aufgrund absehbarer, künftig weiter ansteigender Verkehrsentwicklungen und der auch aus ökologischen Gesichtspunkten notwendigen Verkehrsverlagerung auf die Schiene, wird für die Zukunft mit steigenden Zugzahlen gerechnet. Der alte Stuttgarter Kopfbahnhof und das Nadelöhr auf der „Geislinger Steige“ Richtung Ulm können das erwartete Verkehrsaufkommen nicht bewältigen. Deshalb sind der Umbau des Bahnknotens in der baden-württembergischen Landeshauptstadt mit Stuttgart 21 sowie der Bau der Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm notwendig.
Bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit von Bahnhöfen sind grundsätzlich verschiedene Parameter maßgeblich. Eine wichtige Größe ist die Anzahl der Bahnhofsgleise. Entscheidend ist dabei die „Erreichbarkeit“ dieser Bahnhofsgleise, d. h. die Frage, wie diese Bahnhofsgleise angefahren werden können. Während der bestehende Kopfbahnhof lediglich über fünf Streckengleise angebunden (zweigleisige Strecke von/nach Bad Cannstatt, zweigleisige Strecke von/nach Feuerbach sowie die eingleisige Gäubahn)ist, stehen dem modernen Durchgangsbahnhof Stuttgart 21 vier zweigleisige Strecken (von/nach Bad Cannstatt, von/nach Feuerbach, von/nach Ober-/Untertürkheim sowie zum Flughafen und zur Landesmesse), damit acht Gleise, zur Verfügung.
Die Untersuchungen von Prof. Martin und Prof. Heimerl von der Universität Stuttgart, sowie von Prof. Schwanhäußer vom Verkehrswissenschaftlichen Institut der RWTH Aachen belegen, dass insbesondere der bestehende Stuttgarter Kopfbahnhof in seiner Leistungsfähigkeit ohne eine umfangreiche, teure Sanierung mit zusätzlichen Gleisen, Brücken etc. nicht mehr weiter gesteigert werden kann. Mit der Konzeption Stuttgart 21 und der Weiterführung der Neubaustrecke nach Ulm liegt die nach Abwägung aller Alternativen beste und vernünftigste Lösung vor. Die deutlich gesteigerte Leistungsfähigkeit des neuen Durchgangsbahnhofes ist eindeutig, wurde mehrfach überprüft und vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg gerichtlich bestätigt.
Prof. Martin hat anhand wissenschaftlich anerkannter Berechnungsmodelle nachgewiesen, dass die optimale, praktisch relevante Kapazität des Durchgangsbahnhofes zwischen 42 und 51 Zügen pro Stunde – bezogen auf die Spitzenstunde – liegt. Der ebenfalls untersuchte so genannte „optimierte Kopfbahnhof“ (K21) erreicht dagegen unter vergleichbaren Annahmen lediglich eine Kapazität zwischen 28 und 38 Zügen pro Stunde. Die maximale theoretische Leistungskapazität des Durchgangsbahnhofes liegt noch weit höher.
Weiterhin weist Stuttgart 21 eine Reihe von weiteren Vorteilen gegenüber dem Kopfbahnhof auf: die Bahnsteige können von zwei Zügen gleichzeitig genutzt werden. Ein- und ausfahrende Züge werden sich nicht mehr – wie bisher – im Gleisvorfeld kreuzen und sich somit gegenseitig behindern. Deutlich höhere Ein- und Ausfahrtsgeschwindigkeiten werden möglich sein. Dazu gewährleisten eine intelligente Fahrplankoordinierung und eine optimal gestaltbare Betriebsführung, dass es zu keinen Engpässen, die heute regelmäßig auftreten, mehr kommt.
Schon systembedingt ist ein Durchgangsbahnhof einem Kopfbahnhof überlegen. Es steht außer Frage, dass der neue innovative Durchgangsbahnhof mit acht Gleisen eine deutlich höhere Leistungsfähigkeit hat, als der veraltete Kopfbahnhof mit seinen 16 Gleisen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Volker Kefer - Vorstand Technik, Systemverbund, Dienstleistungen und Infrastruktur der DB