Sehr geehrter Herr Graf,
zur Bewertung und zum Vergleich der Leistungsfähigkeit eines Bahnhofes sind verschiedene Parameter entscheidend. Selbstverständlich ist die Anzahl der im Bahnhof verkehrenden Züge eine wichtige Größe. Genauso entscheidend sind jedoch die Gleisanlagen und die auf den Bahnhof zuführenden Gleise, also die maßgebliche Infrastruktur auf der diese Züge fahren können. Diese hat sich seit Einführung der S-Bahn Stuttgart verändert. Maßgeblich ist auch der Fahrplan, der diesen Zugzahlen zugrundeliegt. Heute sind die Verkehre in hohem Maß vertaktet. Insgesamt sind die Zugzahlen aus den 70- er Jahren nicht mit den heutigen Zugzahlen direkt vergleichbar.
Ihre Ausführungen, wonach „ vor Eröffnung des S-Bahntunnels 20 % mehr Züge im Hauptbahnhof abgewickelt wurden und damit auch die Leistungsfähigkeit des Stuttgarter Kopfbahnhofes um mindestens 20 % höher liegen müsse“ lassen sich nach der Analyse der konkreten Zugzahlen nicht bestätigen. Die Auswertung des Winterfahrplan 1972/1973 erbrachte im Stuttgarter Hauptbahnhof einen Wert von 890 Zugfahrten (werktags) auf den Bahnhofsgleisen. Maßgeblich für diese Zugzahlen ist, dass der damalige Vorortverkehr - als Vorläufer der heutigen S-Bahn (mit den Relationen Bietigheim - Esslingen/Plochingen, Stuttgart - Böblingen, Stuttgart - Backnang und Stuttgart - Weil der Stadt) - die Bahnsteiggleise nutzte. Beispielsweise fuhren allein in der Relation Bietigheim - Plochingen und Gegenrichtung ca. 220 Zugfahrten aus den Gleisen 4 und 5.
Insgesamt ist festzuhalten, dass sowohl im Fernverkehr als auch im Regionalverkehr 1972 weniger Züge als heute verkehrten und die Zugzahlen durch diesen dem heutigen S-Bahnverkehr vergleichbaren Vorortverkehr entstanden sind.
Heute verkehren werktäglich 630 S-Bahnzüge und 697 Züge des Fern- und Regionalverkehres. Mit der Einführung der S-Bahn wurde die Schieneninfrastruktur in Stuttgart verändert und dem neuen Verkehrssystem angepasst. Beispielsweise führten vor Einführung der S-Bahn zwei Gleise vom Kopfbahnhof Richtung Gäubahn. Davon wurde eines für die S-Bahn benötigt, so dass ein Zulaufgleis auf den Hauptbahnhof für den Fern- und Regionalverkehr entfallen musste. Entscheidend für eine Bewertung der Leistungsfähigkeit ist nicht die Anzahl der Bahnhofsgleise im Kopfbahnhof allein, sondern die gesamte Leistungsfähigkeit des Bahnknotens und insbesondere die der Zulaufgleise auf den Hauptbahnhof. Maßgeblich ist also wie viele Züge den Kopfbahnhof und die S-Bahnstation tief überhaupt anfahren können. Deshalb ist die Gesamtleistung des Knotens Stuttgart zu bewerten, in dem eben auch die Fahrten der S-Bahn abgewickelt werden müssen. Wenn aufgrund der unterschiedlichen Basis überhaupt ein Vergleich gezogen werden könnte, dann wären für den Bahnknoten Stuttgart die 890 Züge aus dem Jahr 1972 mit den aktuell 1327 verkehrenden Zügen zu vergleichen.
Mit freundlichen Grüßen
Volker Kefer - Vorstand Technik, Systemverbund, Dienstleistungen und Infrastruktur der DB