Sehr geehrter Herr Sauer,
ich danke Ihnen für Ihre Fragen, zu denen ich gerne Stellung nehme.
Im Rahmen der Schlichtung haben sich Projektbefürworter und -kritiker darauf verständigt, den neuen Bahnknoten Stuttgart einem Stresstest zu unterziehen. Dabei sollte der Nachweis geführt werden, dass der neue Hauptbahnhof zur Spitzenstunde 49 Züge abwickeln und dabei Verspätungen abbauen kann. Die Erhöhung der Zugzahl auf 49 im Vergleich zur heute in der Spitzenstunde ankommenden Züge von 35 entspricht 12 Zügen und damit einer Zunahme um 30 Prozent. Dieser Nachweis ist eindeutig gelungen, wie nicht zuletzt der von beiden Seiten einvernehmlich beauftragte Gutachter, SMA und Partner, in seinem Abschlussbericht (http://www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/de-DE/download/20...) ausführlich dargelegt hat.
Um die Belastbarkeit und Realitätsnähe des Simulationsmodells zu untersuchen, wertete das Züricher Ingenieurbüro dabei auch Daten zur Pünktlichkeit der Züge im heutigen Bahnknoten aus. Im Steckbrief SI-05 (S. 156 ff. im PDF) wird dargelegt, wie auf den heutigen Anlagen insbesondere aus und in Richtung Bad Cannstatt in erheblichem Maße Verspätungen aufgebaut werden. Durchlaufende Fernzüge legen zwischen Stuttgart-Zuffenhausen und Stuttgart-Bad Cannstatt dabei im Mittel fast zwei Minuten an Verspätung zu (Steckbrief SI-05, Abbildung 11, PDF-Seite 169).
Zum Vergleich: Im neuen Bahnknoten können allein im Hauptbahnhof durchschnittlich bereits 52 Sekunden Verspätung abgebaut werden (siehe http://www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/de-DE/download/St..., Folie 5). Geringfügige Verspätungen, die im Zu- und Ablauf des neuen Bahnknotens entstehen, können das Gesamtergebnis nicht trüben: Im Mittel können 33 Sekunden Verspätung abgebaut werden – obwohl zur Spitzenstunde 49 statt heute 35 Zügen abgefertigt werden.
Der Stresstest hat dabei explizit nicht die maximale Leistungsfähigkeit des neuen Bahnknotens ermittelt, sondern lediglich den Nachweis erbracht, dass 30 Prozent mehr Züge zur Spitzenstunde mit rückläufigen Verspätungen unter Praxisbedingungen gefahren werden können. Dies war der von beiden Parteien in der Schlichtung einvernehmlich vereinbarte Gegenstand des Leistungsnachweises. Die Bestimmung der maximalen Leistungsfähigkeit war weder für die geplanten noch für die bestehenden Anlagen Gegenstand dieser Aufgabenstellung.
Es bedarf dabei auch keiner mehrmonatigen Untersuchung, um zu erkennen, dass der heutige Bahnknoten die Grenzen seiner unter Praxisbedingungen erreichbaren Leistungsfähigkeit zur Spitzenstunde längst erreicht hat. Gerade für Pendler, die aus Richtung Bad Cannstatt zwischen 7 und 8 Uhr in Stuttgart ankommen, sind Staus und kurze Wartezeiten auf den letzten Kilometern Alltag. Behauptungen, auf diesen Gleisen könnten ohne Weiteres 50 und mehr Züge pro Stunde fahren, fußen auf einfachen und rein theoretischen Vergleichen, die einer fundierten Betrachtung kaum standhalten. Denn während im Rahmen des Stresstests mit einem nie zuvor betriebenen Aufwand die Leistungsfähigkeit eines geplanten Bahnknotens bis ins Detail untersucht, dargelegt und schließlich testiert wurde, werfen jene Betrachtungen viele elementare Grundsätze des Stresstests über Bord: Die Betriebsqualität, die räumliche Verteilung der ankommenden Züge, aber auch die Auswirkungen auf das umgebende Netz sind nur drei wesentliche Faktoren, die auf der Strecke bleiben. Zu der in diesem Zusammenhang ebenfalls gepflegten Legende historischer Höchstleistungen haben wir bereits in http://www.direktzu.de/stuttgart21/messages/gleiches-mit-... Stellung genommen.
Ich hoffe, mit dieser Antwort etwas Licht ins Dunkel gebracht zu haben und verbleibe
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Dietrich