Liebe direktzu®-Nutzer,

32.000 Menschen haben abgestimmt, mehr als 650 Fragen wurden beantwortet – dies ist die Bilanz der Bürgerdialogplattform „Direktzu Stuttgart 21“, die im September 2010 online ging. Seitdem wurde von unseren Fachleuten detailliert Stellung bezogen zu vielen Themen rund um das Bahnprojekt Stuttgart–Ulm. Alle unsere Antworten auf Ihre wichtigsten Fragen finden Sie hier auf dieser Plattform.

Seit 2010 hat sich das Projekt grundlegend verändert. Es geht nicht mehr um das „ob“, sondern um das „wie“. Nach Jahren der Planung und des politischen Diskurses treten die Umsetzung des Bahnprojektes und damit die Bauarbeiten immer mehr in den Vordergrund, was an vielen Stellen der Stadt und entlang der Autobahn nach Ulm zu sehen ist.

Für die zunehmenden Fragen rund ums Bauen haben wir ein „Informationszentrum“ eingerichtet, über welches sich insbesondere betroffene Bürgerinnen und Bürger rund um die Uhr an sieben Tagen pro Woche über das aktuelle Baugeschehen informieren können.

Wir freuen uns weiterhin über Ihr Interesse an unserem Projekt.

Beantwortet
Autor Karsten vom Bruch am 15. November 2012
26715 Leser · 39 Stimmen (-1 / +38)

Durchgangsbahnhof: Kapazität, Architektur, Barrierefreiheit

Brandschutzgutachten falsch zitiert?

Sehr geehrter Herr Dietrich.

In Ihrer Antwort zum Thema Brandschutz

http://direktzu.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/stuttgart21/...

machen Sie Aussagen, die ich teilweise nicht mit dem von der Bahn beauftragten Gutachten der Firma Gruner

http://www.bei-abriss-aufstand.de/2012/10/11/brandschutz-...

in Übereinstimmung bringen kann. Ich stelle die Aussagen gegenüber und bitte um eine Erklärung.
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Dietrich: ...greift ein mehrstufiges Entrauchungs- und Rettungskonzept. Im Fokus steht dabei zunächst die zuverlässige Entrauchung der Station, um eine sichere Evakuierung zu ermöglichen.

Gruner: Neben den vorgenannten Problemen im Zusammenhang mit dem Evakuierungskonzept betrachten wir auch das vom Berichterstatter vorgeschlagene Entrauchungskonzept kritisch.
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Dietrich: Gutachten und Entrauchungsversuchen an mehreren Modellen haben gezeigt, dass die Rauchentwicklung damit auf den unmittelbaren Bereich des Brandherdes begrenzt und die übrige Bahnhofshalle praktisch rauchfrei gehalten werden kann.

Gruner: Der angenommene Vorteil des Systems, das Rauch zurückgedrängt wird, kehrt sich schliesslich erwartungsgemäss in den Nachteil um, dass infolge der maschinell erzeugten Scherströmungen zunehmend Rauchgase in die Gehschicht eingemischt werden und somit schliesslich die gesamte Bahnhofshalle verraucht wird. ....dort ergibt ein Simulationslauf (Simulationsnummer 24), dass nach spätestens 24 Minuten die gesamte Bahnhofshalle (d.h. Stege A, B und C) verraucht ist. Es wird somit toleriert, dass flüchtende Personen kontaminierte Luft atmen.
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Dietrich: Mit der zuverlässigen Entrauchung einher geht die Evakuierung der Bahnhofshalle. In den ersten Minuten der Evakuierung steht dabei die Selbstrettung im Vordergrund. Der allergrößte Teil der Reisenden verlässt die Station über die zahlreichen Treppen und Zugänge.

Gruner: Erschwerend kommt hinzu, dass die nun vorgelegten Simulationsergebnisse der Evakuierungssimulation deutlich erhöhte Personendichten im Bereich vor den Treppen von den Bahnsteigen zeigen. .....Die mittlere Stauzeit der zu evakuierenden Personen auf dem Bahnsteig beträgt nach Aussagen der Berichterstatter etwa 8 Minuten, im ungünstigsten Fall liegt die maximale Stauzeit vor den Treppen bei 19 Minuten...
Angesichts der problematischen Entrauchungssituation ... und der Tatsache, dass am betroffenen Bahnsteig ggf. ein brennender Zug steht, sind diese Werte als äusserst kritisch zu beurteilen. ..... In Verbindung mit den über 18 Minuten ermittelten Personendichten von mindestens 4 Personen/m2 ist daher kaum davon auszugehen, dass gesundheitsgefährdende Dichten und Drücke bei einer Evakuierung des Stuttgarter Hauptbahnhofs ausgeschlossen werden können.
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Dietrich: Vielmehr wird durch das Entrauchungskonzept sichergestellt, dass weite Teile des Bahnsteigs über die Selbstrettungsphase hinaus rauchfrei gehalten werden. Diese Bereiche bleiben auch während des Brandes rauchfrei.

Gruner: ...und somit schließlich die gesamte Bahnhofshalle verraucht wird. (Siehe oben)
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Dietrich: An dieser Stelle setzt mit der Fremdrettungsphase nun ein weiterer Baustein des vielschichtigen Sicherheitskonzepts an. Aus allen vier Himmelsrichtungen können Rettungskräfte auf kurzen Wegen in den Bahnhof strömen, um den Brand zu bekämpfen und einzelne verbliebene Reisenden zu evakuieren.

Gruner: Darüber hinaus ist festzuhalten, ….dass … immer noch keine stringente plangrafische Darstellung des Konzepts und der Fluchtwegführung vorliegt, die Fremdrettungsphase nicht ausreichend berücksichtigt wird und die verschiedenen Schnittstellen zu Tunnelstrecken sowie angrenzenden Gebäuden weiterhin nicht ausreichend gewürdigt werden.
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Herr Dietrich, liegt Ihnen da ein anderes Gutachten vor, aus dem Sie zitieren?

Ich bitte diesmal um Freischaltung meiner Frage, die parallel auch an die Presse geht.

Mit freundlichen Grüßen
Karsten vom Bruch

+37

Über diesen Beitrag kann nicht mehr abgestimmt werden, da er bereits beantwortet wurde.

Antwort
von Wolfgang Dietrich am 19. November 2012
Wolfgang Dietrich

Sehr geehrter Herr vom Bruch,

ich danke Ihnen für Ihre kritischen Einwände zum Brandschutzkonzept von Stuttgart 21, die ich gerne beantworte.

Die Deutsche Bahn AG arbeitet zusammen mit dem Brandschutzgutachter BPK im Moment daran, das 2005 planfestgestellte Brandschutz- und Sicherheits- konzept des neuen Stuttgarter Hauptbahnhofs an die zwischenzeitlich erschienen neuen behördlichen Vorgaben und Regelwerke anzupassen.

Die von Ihnen angesprochene Stellungnahme der Gruner AG - es handelt sich NICHT um ein Gutachten - wurde dabei im Rahmen des üblichen Qualitäts- sicherungsprozesses von der Deutschen Bahn selbst bewusst als "zweite Meinung" beauftragt. Sie hatte den Zweck, auf mögliche extreme Positionen in der öffentlichen Diskussion vorzubereiten. Die dabei herangezogenen Be- wertungsgrundlagen gehen dabei absichtlich deutlich über die anerkannten Regeln der Technik für unterirdische Personenverkehrsanlagen hinaus.

Die von Ihnen angesprochenen Unterschiede bestehen zwischen dem Stand der Planfeststellung und der Stellungnahme der Gruner AG. Dazwischen liegt das eigentliche Gutachten von BPK. Zusammen mit der Stuttgarter Feuerwehr und den Fachbehörden arbeiten die Fachleute der Deutschen Bahn im Moment daran, auf dieser Grundlage das neue Brand- schutz und Sicherheits- konzept fertigzustellen, das Mitte 2013 dem Eisenbahn-Bundesamt als unabhängiger Genehmigungsbehörde vorgelegt wird.

Ein noch offener Gegenstand der laufenden Fachdiskussionen sind dabei beispielsweise die von Ihnen angesprochenen Anforderungen an die Rauchfreiheit der Fluchtwege. Während eine lediglich geringfügig verrauchte Schicht im Fluchtweg nach den anerkannten Regeln der Technik noch toleriert werden kann, geht die Stellungnahme der Gruner AG auch hier über die einschlägigen Regelungen in Deutschland hinaus. Tatsächlich werden die entsprechenden Grenzwerte eingehalten, so dass selbst bei einem 30-minütigen Aufenthalt in der raucharmen Schicht die Orientierung sichergestellt ist und die individuelle Fluchtfähigkeit gewährleistet wird.

Für den Nachweis der Sicherheit ist es dabei nicht relevant, wann ein Bereich des neuen Hauptbahnhofs über das normativ erlaubte Maß verraucht, sondern ob zu diesem Zeitpunkt noch Personen in diesem Bereich sind. Im Brand- schutzkonzept von BPK wird dabei nachgewiesen, dass die Selbstrettung in allen Szenarien sicher durchgeführt werden kann.

Für die Deutsche Bahn AG hat die Sicherheit der Reisenden höchste Priorität. Auch das weiterentwickelte Brandschutz- und Sicherheitskonzept wird unter den verschärften Bedingungen eine sichere Evakuierung aller Reisenden auch unter ungünstigen Rahmenbedingungen sicherstellen. Darüber hinaus wird das Eisenbahn-Bundesamt mit Argusaugen auf die strikte Einhaltung aller einschlägigen Regelwerke achten.

Ich hoffe sehr, dass ich Ihre Fassungslosigkeit durch gute Argumente ein wenig lindern konnte!

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Dietrich