Sehr geehrter Herr Vogt,
ich danke Ihnen für Ihre Frage, die ich gerne beantworte. Für die späte Antwort bitte ich um Entschuldigung.
Im Schlichterspruch von Dr. Heiner Geißler wurde der Deutschen Bahn auferlegt, den Nachweis zu führen, dass im neuen Bahnknoten ein Fahrplan mit 30 Prozent Leistungszuwachs in der Spitzenstunde mit guter Betriebsqualität möglich ist. Im Rahmen der Schlichtungsgespräche wurde dabei vereinbart, diesen Leistungszuwachs auf die Zugankünfte zur Spitzenstunden zu beziehen.
Damals, im November 2010, kamen montags bis freitags zwischen 7:00 und 7:59 Uhr planmäßig 37 Fern- und Regionalzüge im Stuttgarter Hauptbahnhof ein. Diese 37 Züge, um 30 Prozent erhöht und aufgerundet, führten zu der Messlatte von 49 Zügen, die es zu überspringen galt. Dieser Nachweis ist im Rahmen des Stresstests klar gelungen.
Einige Kritiker des Stresstests leiten nun aus verschiedenen Ansätzen größere Zugzahlen ab, die mit diesen 37 bzw. 49 Zugankünften nicht vergleichbar sind. So wird mitunter die Zahl der Ankünfte und Abfahrten addiert oder Züge gezählt, die vor 7:00 Uhr ankommen und zum Zeigerschlag bereits am Bahnsteig stehen. Beliebt sind auch Vergleiche mit dem Zustand vor Inbetriebnahme der S-Bahn im Jahr 1978, als die beiden heute dem S-Bahn-Verkehr dienenden Gleispaare zwischen Feuerbach, Bad Cannstatt und dem Hauptbahnhof noch in den Kopfbahnhof führten. Gänzlich unterschlagen wird dabei, dass diese vier Gleise heute in dichtem Takt von bis zu 48 S-Bahnen pro Stunde befahrenen werden. Würden die S-Bahnen von den Gleisen genommen, könnten zusätzliche Fern- und Regionalzüge ohne Weiteres dem Hauptbahnhof zugeführt werden – mit entsprechenden Einschränkungen bei der S-Bahn. Dies kann nicht Grundlage eines seriösen Vergleichs sein.
Es lohnt sich, genauer hinzusehen und die jeweiligen Randbedingungen zu betrachten. Sie werden feststellen, dass bei einem objektiven Vergleich der bestehende Kopfbahnhof mit rund 37 Zugankünften eine historische Höchstleistung erbringt, die ohne massive Ausbauten nicht wesentlich gesteigert werden kann. Selbst im Sommerfahrplan 1978, kurz vor Inbetriebnahme der S-Bahn, kamen im Hauptbahnhof zwischen 7:00 und 7:59 Uhr nur 32 Züge an, darunter 14 Vorortzüge als Vorläufer der heutigen S-Bahn. Behauptungen, der Stuttgarter Hauptbahnhof habe früher schon einmal wesentlich mehr ankommende Züge als heute verarbeitet, funktionieren ebenfalls nur, wenn Äpfel mit Birnen verglichen werden.
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weitergeholfen zu haben und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Dietrich