Sehr geehrte Frau Single,
ich danke Ihnen für Ihre kritischen Nachfragen, die ich sehr gerne beantworte.
Die Deutsche Bahn, hier insbesondere die DB Station&Service AG, baut und betreibt die Bahnhöfe in Deutschland. Die Erfahrungen hieraus sind in ein entsprechendes, bundesweit geltendes Regelwerk zur Auslegung solcher Anlagen eingeflossen. Große Durchgangsbahnhöfe werden demnach mit Treppen, Fahrtreppen und Aufzügen errichtet bzw. ggf. nachgerüstet.
Die Barrierefreiheit von Bahnanlagen ist dabei detailliert geregelt. Die Maßgabe einer barrierefreien Gestaltung von Bahnanlagen ergibt sich dabei zunächst aus §2(3) der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) und wird durch eine Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen, technischen Normen und unternehmensinternen Regelwerken konkretisiert. Die Deutsche Bahn hat darüber hinaus in enger Zusammenarbeit mit den Verbänden der Behinderten-Selbsthilfe ein Programm zur Herstellung von Barrierefreiheit aufgestellt.
In der konkreten Planung von Stuttgart 21 wurde die Kapazität von Aufzügen, Fahrtreppen und Treppen eingehend untersucht. Unser Beispiel, bei dem eine vollbepackte fünfköpfige Familie etwa die Hälfte einer der neuen Aufzugkabinen belegt, ist dabei bereits komfortabel gewählt. Tatsächlich liegt der Platzbedarf eines erwachsenen Menschen durchschnittlich bei etwa einem sechstel Quadratmeter. Der von uns explizit als Höchstwert bezeichnete halbe Quadratmeter setzt voraus, dass ein erwachsener Reisender etwa die doppelte seiner eigenen Grundfläche für sein Gepäck benötigt. Das entspricht mehreren Koffern. Natürlich gibt es in der Praxis Abweichungen in beide Richtungen. Für die Bemessung verwenden wir aber die allgemein anerkannten Ansätze.
Im Übrigen werden alle Aufzüge für den Einsatz von Krankentragen ausgelegt. Krankentragen sind i.d.R. mit eingeschobenen Griffen 1,90 m lang (mit ausgezogenen Griffen 2,3 m).
Ihrer Einschätzung, wonach sich in kurzer Zeit hunderte von Reisenden vor den drei Aufzügen jedes Bahnsteigs stauen würden, können wir nicht zustimmen. So kommt im anspruchsvollen Stresstest-Fahrplan mit 49 Zugankünften zur Spitzenstunde auf jedem der acht Gleise im Mittel nur alle zehn Minuten ein Zug an. Gleichzeitig werden diese Züge nur sehr selten mit tausend und mehr Reisenden besetzt sein. Insbesondere sind die 49 Züge zur morgendlichen Spitzenstunde vor allen Dingen mit Berufs- und Schulpendlern belegt, von denen weit weniger als zehn Prozent zwingend auf einen Aufzug angewiesen sind. Wir dimensionieren die Anlagen daher nicht allein nach allgemeiner Statistik, sondern versuchen den Bedarf an Verkehrsflächen und Aufzugsanlagen usw. nach am Bahnhof zu erwartenden Personenströmen und weiteren Planungsaspekten auszurichten und zu optimieren.
Mit Fahrtreppen, Blindenleitstreifen, akustischen Informationssystemen und zahlreichen weiteren Maßnahmen wird den Belangen ganz unterschiedlich körperlich eingeschränkter Menschen in der Planung und Realisierung des neuen Hauptbahnhofs Rechnung getragen. Gemeinsam mit den Fachverbänden wird die Planung fortlaufend auf den aktuellen Stand der Erkenntnisse und Technik angepasst und weiterentwickelt.
Ein anschauliches Beispiel, warum es an den Aufzügen des neuen Hauptbahnhofs eben nicht zu langen Warteschlagen kommen wird, finden Sie dabei auch schon heute in der S-Bahn-Station unter dem Bonatzbau. Am dortigen Bahnsteig kommen im Berufsverkehr 48 Züge pro Stunde an. Auch wenn dort insgesamt wesentlich mehr Reisende als auf jedem der vier Bahnsteige des neuen Hauptbahnhofs aussteigen, bilden sich an den vier Aufzüge keine lange Schlangen, obwohl diese Kabinen kleiner sind und längere Fahrzeiten haben.
Die Zugänglichkeit zum neuen Hauptbahnhof wird zudem eine völlig neue Qualität erhalten: Um heute ebenerdig – ohne Aufzüge, Treppen, Fahrtreppen und steile Rampen – vom Schlossgarten oder der Klettpassage zu den Bahnsteigen zu gelangen, ist in der Regel mehr als ein halber Kilometer zurückzulegen. Auf der Homepage des VVS finden Sie unter http://www2.vvs.de/Download/me_plaene/ME_Hbf.pdf dazu einen Überblick. Zukünftig geht es dagegen vom Schlossgarten ebenso ebenerdig zur Bahnsteighalle wie aus der Mittleren Halle, der Großen Schalterhalle und über die Eingänge am Bahnhofsturm. Der einzige heute ebenerdige Zugang, am Nordausgang, bleibt erhalten und wird durch die vorgenannten Zugänge ergänzt. Die Vielzahl an Zugängen ist nicht zuletzt auch für Rettungskräfte ein großer Vorteil, die dann auf kurzen Wegen zu den Bahnsteigen gelangen können. In unserem Film zum neuen Hauptbahnhof können Sie sich davon schon heute ein Bild machen: www.youtube.com/watch?v=StfqRMXjGmk#t=1m50
Zwar müssen künftig bis zu sieben Höhenmeter zwischen den Bahnsteigen und den drei Verteilerstegen überwunden werden – die Wegelängen insbesondere im Umsteigefall sind dafür deutlich geringer. Hierfür wird jeder Bahnsteig zusätzlich zu den drei Aufzügen an fünf Stellen mit Treppen und Fahrtreppen an die drei Verteilerstegen angebunden. Weiter ist jeder Bahnsteig an einen quer zur Bahnhofshalle verlaufenden Personnentunnel angeschlossen, welche die direkte Verbindung zum vorhandenen S-Bahn-Bahnsteig gewährleistet. Insgesamt werden gegenüber dem heutigen Zustand deutlich kürzere Wegeverbindungen zwischen Fern-, Stadt- und S-Bahn geschaffen.
Ich hoffe, Ihre Fragen zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet zu haben und verbleibe
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Dietrich