Liebe direktzu®-Nutzer,

32.000 Menschen haben abgestimmt, mehr als 650 Fragen wurden beantwortet – dies ist die Bilanz der Bürgerdialogplattform „Direktzu Stuttgart 21“, die im September 2010 online ging. Seitdem wurde von unseren Fachleuten detailliert Stellung bezogen zu vielen Themen rund um das Bahnprojekt Stuttgart–Ulm. Alle unsere Antworten auf Ihre wichtigsten Fragen finden Sie hier auf dieser Plattform.

Seit 2010 hat sich das Projekt grundlegend verändert. Es geht nicht mehr um das „ob“, sondern um das „wie“. Nach Jahren der Planung und des politischen Diskurses treten die Umsetzung des Bahnprojektes und damit die Bauarbeiten immer mehr in den Vordergrund, was an vielen Stellen der Stadt und entlang der Autobahn nach Ulm zu sehen ist.

Für die zunehmenden Fragen rund ums Bauen haben wir ein „Informationszentrum“ eingerichtet, über welches sich insbesondere betroffene Bürgerinnen und Bürger rund um die Uhr an sieben Tagen pro Woche über das aktuelle Baugeschehen informieren können.

Wir freuen uns weiterhin über Ihr Interesse an unserem Projekt.

Beantwortet
Autor Robert S. am 27. Juni 2011
24468 Leser · 24 Stimmen (-7 / +17)

Durchgangsbahnhof: Kapazität, Architektur, Barrierefreiheit

Fehler in der Rechnung? Leistung von S21 im Vergleich zum heutigen Kopfbahnhof

Sehr geehrte Damen und Herren,

im der Ausgabe 6/2011 der Eisenbahn-Revue International ist ein Artikel zur Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 erschienen. Er ist hier nachzulesen:
http://kopfbahnhof-21.de/fileadmin/downloads/presseberich...

Dort wird durch einen Vergleich mehrerer Durchgangs- und Kopfbahnhöfe eine durchscnittlich um den Faktor 1,4 erhöhte Kapazität von Durchgangsbahnhöfen gegenüber Kopfbahnhöfen berechnet.
Außerdem nennt er als Kapazitätsgrenze von S21 (mit 8 Gleisen) 32 Züge pro Stunde. Errechnet man die 1,4-fache Kapazität des heutigen Kopfbahnhofs pro Gleis und Stunde (37 Züge - 15 Gleise da Bauarbeiten, also ca. 2,5 Züge pro Gleis und Stunde), addiert einen Vorteil von 10% durch ETCS (so im Artikel genannt) hinzu und multipliziert die Zahl mit der Anzahl der Gleise (8 Stück bei S21), so erhält man eine Kapazität von nur 30 Zügen pro Stunde:
37/15*1,4*1,1*8≈30,39

Diese Rechnung ist aber nicht ganz fair, da S21 im Vergleich zur Anzahl der Bahnsteigkanten deutlich mehr Zufahrtsgleise als "K20" hat.
Nimmt man deshalb die Kapazität von 3 Zügen pro Gleis und Stunde des leistungsfähigsten der genannten Kopfbahnhöfe (London Waterloo) und führt die gleiche Rechnung durch, kommt man auf eine Kapazität von ca. 37 Zügen pro Stunde:
3*1,4*1,1*8=36,96

Diese Kapazität erscheint noch einigermaßen plausibel, da sie nur um ca. 0,4 Züge pro Gleis und Stunde über der des leistungsfähigsten Durchgangsbahnhof Deutschlands (Hamburg Hbf), welcher jedoch diese Kapazität auch nur mit erheblichen Verspätungen erbringen kann, liegt.

Auch mit 10 Gleisen, welche von der Bahn von vornherein ausgeschlossen wurden, scheint die im Schlichterspruch geforderte Leistung von 49 Zügen pro Stunde nicht erreichbar zu sein, da auch mit 10 Gleisen die Kapazität nach dieser Rechnung nur 46 Züge pro Stunde betragen würde.

Durch welchen "unbekannten revolutionären technischen Fortschritt" (so wurde es vom Autor beschrieben) möchten Sie also einen Leistungszuwachs in der Spitzenstunde von 30% erreichen bzw. wie haben sie diesen erreicht? Denn in mehreren Zeitungen wurden schon Artikel über das Bestehen des Stresstests veröffentlicht (z.B. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-str...).

Falls Ihre Antwort nur aus einem Hinweis auf die Veröffentlichung der Ergebnisse des anscheinend bestandenen Stresstests am 14. Juli bestehen sollte, bitte ich Sie, mich auf den Fehler in meiner Rechnung hinzuweisen. Dass der Faktor 1,4 nicht stimmt, wäre denkbar, jedoch ergibt auch die Division der Leistungsfähigkeit des leistungsfähigsten Durchgangsbahnhof Hamburg, ca. 4,2) durch die des leistungsfähigsten deutschen Kopfbahnhofs (Stuttgart 1970, ca. 2,9) nur etwas mehr als 1,4.

Mit freundlichen Grüßen
Robert Schütz

+10

Über diesen Beitrag kann nicht mehr abgestimmt werden, da er bereits beantwortet wurde.

Antwort
von Wolfgang Dietrich am 12. Dezember 2011
Wolfgang Dietrich

Sehr geehrter Herr Schütz

Zu den Vorwürfen von Herrn Dr. Engelhardt haben wir bereits in einem offenen Brief umfassend Stellung genommen: http://tinyurl.com/d6pug6g

Lassen Sie mich die wesentlichen Zusammenhänge noch einmal kurz darstellen:

Leistungsuntersuchungen von Bahnanlagen sind eine komplexe Materie, die mit einfachen linearen Rechnungen nicht hinreichend genau abgebildet werden kann. So nützen viele Bahnsteigkanten – wie im heutigen Stuttgarter Hauptbahnhof – nichts, wenn zu wenig Zulaufgleise vorhanden sind, diese in entscheidenden Abschnitten nur langsam befahren werden können und sich ein- und ausfahrende Züge darüber hinaus vielfach gegenseitig blockieren.

Mit Stuttgart 21 werden die bestehenden Engpässe im Bereich des Hauptbahnhofs, aber auch im Bereich von Bad Cannstatt, umfassend angegangen und aufgelöst. Wo heute mit 35 ankommenden Zügen schon in erheblichem Maß Verspätungen aufgebaut werden, können trotz gestiegener Zugzahlen zukünftig Verspätungen abgebaut werden. Mehr Zulaufgleise, die bis in den Bahnhofsbereich deutlich schneller befahren werden können und viel weniger Konflikte zwischen den Zügen ermöglichen, mit weniger Bahnsteiggleisen mehr Züge zu fahren.

Im Rahmen des Stresstests haben wir dabei den Nachweis erbracht, dass im neuen Hauptbahnhof 49 Züge zur Spitzenstunde in wirtschaftlich optimaler Betriebsqualität abgewickelt werden können. Je Zug und Bahnsteiggleis stehen damit im Durchschnitt knapp zehn Minuten zur Verfügung. Für den Ein- und Ausstieg der Fahrgäste werden im morgendlichen Berufsverkehr dabei nur etwa zwei bis drei Minuten je Zug benötigt. Die übrige Zeit dient Ein- und Ausfahrten, längeren Haltezeiten und Reserven.

Wo die Grenzen moderner, durchsatzoptimierter Bahnhöfe liegen, zeigen indes einige der tatsächlich leistungsstärksten Durchgangsbahnhöfe in Deutschland: Die S-Bahn-Stationen an den Hauptbahnhöfen Frankfurt, München und Stuttgart fertigen planmäßig zwischen 24 und 30 Züge je Stunde und Bahnsteiggleis ab. Mit längeren Haltezeiten und insgesamt etwas langsameren Fahrzeugen war im Stresstest eine Leistung von gerade einmal sechs Zügen je Stunde und Bahnsteiggleis nachzuweisen. In einer der aufwendigsten jemals durchgeführten Bahnbetriebssimulationen ist dieser detaillierte Nachweis erbracht und von den Fachleuten der SMA bestätigt.

Ich hoffe, Ihnen mit diesen Erläuterungen weitergeholfen zu haben und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Dietrich