Sehr geehrter Herr Weckerle,
die Stadt Stuttgart hat die freiwerdenden Gleisflächen (außer das Gebiet A1, ehem. Güterbahnhof) bereits im Dezember 2001 gekauft, um dort unabhängig von Investoreninteressen einen ökologischen, nachhaltigen und sozial ausgewogenen Stadtteil entwickeln zu können. Bis auf den Bereich des neuen Berufsschulzentrums, die Wagenhallen, die S-Bahn-Gleise am Nordbahnhof und das „Zeichen der Erinnerung“ gibt es noch keine bindenden Planungsbeschlüsse. Die Stadt will hier in den nächsten Monaten und Jahren Bürger und Experten intensiv in die Entwicklung des neuen Stadtteils einbeziehen.
Von November 2010 an können sich interessierte Bürger im Rahmen verschiedener Bürgerforen in die Entwicklung der neuen Stadtteile einbringen und auch das Thema Stadtklimatologie diskutieren. Themen sind unter anderem Nachhaltiges Bauen, Parkerweiterung und Grüngestaltung sowie Stadtplanung und Stadtgestaltung.
Zu den eisenbahntechnischen und städtebaulichen Planungen für das Projekt Stuttgart 21 gab es in den vergangenen Jahren aber auch umfangreiche Umweltuntersuchungen, denen eine große Vielfalt gutachterlicher Fragestellungen zu Hydrogeologie, Naturschutz, Luftreinhaltung, Klima und Lärmschutz zugrunde liegen.
Die zur Problemlösung angewandten Methoden reichen von computergestützten Modellrechnungen und Simulationen, über Experimente am maßstäblichen Modell im Windkanal bis zu den Messungen, Bohrungen, Kartierungen und Naturbeobachtungen im Plangebiet und seiner Umgebung.
Daraus lassen sich Schlussfolgerungen ziehen, die in die Entwicklung des neuen Stadtteils einfließen sollen: Die topographische Lage Stuttgarts erweist sich aus Sicht der Stadtklimatologie als bedeutsamer Planungsfaktor: Im Entwicklungsgebiet Stuttgart 21 herrschen talparallele Winde bei weitem vor. Das Nesenbachtal ist somit die Hauptbelüftungsachse der Innenstadt zwischen Heslach und Bad Cannstatt. Vor allem im Europaviertel (Plangebiet A1 und A2) aber auch im Rosensteinviertel (Plangebiet B) würde eine hohe, sperrige Bebauung eine unerwünschte Behinderung der talparallelen Durchlüftung bewirken. Im Gebiet A1 und A2 gilt eine flächenhaft verdichtete verhältnismäßig niedrige Bebauungsform bei dem im Entwurf zum Rahmenkonzept angesprochene Traufhöhen von 20 m jedoch als vertretbar.
Mit einer intensiveren baulichen Nutzung (Plangebiet A1) bzw. der Bebauung der Gleisanlagen (übrige Plangebiete) ist auch eine Zunahme der Lufttemperatur verbunden. Um den Stuttgarter Talkessel nicht zusätzlich aufzuheizen, wird die Bebauung insbesondere im Plangebiet B mit der Erweiterung des Rosensteinparks und der Schlossgärten kompensiert. Dafür bietet sich vor allem der Übergangsbereich zwischen Rosensteinpark und Schloßgarten bei der Ehmannstraße an. Insbesondere sollte auch im südwestlichen Teil von Gebiet B eine Kompensationsfläche geschaffen werden, die außer der Vergrößerung der Parkfläche eine engere Verknüpfung von Pragfriedhof und Schloßgarten und damit auch die Möglichkeit kleinräumigen Luftaustausches bietet. Eine Bebauung hingegen würde Pragfriedhof und Schloßgarten mehr voneinander abriegeln als dies heute der Fall ist.
Eine intensive Grünausstattung der Baugebiete, Dach- und Fassadenbegrünung und eine wirkungsvolle Vernetzung der bestehenden und neu gewonnenen Grünbereiche mit den größeren innerstädtischen Grünflächen (Pragfriedhof, Schloßgarten, Rosensteinpark, IGA-Gelände) kann zur Minderung der thermischen Auswirkungen beitragen. Dabei sind die Möglichkeiten des lokalen Luftaustauschs durch nächtliche Kaltluftflüsse (Hangabwinde) von besonderem Interesse.
Die lufthygienische Situation stellt sich im Entwicklungsgebiet Stuttgart 21 vergleichsweise günstig dar, da es sich um eine Fläche mit geringer Emissionstätigkeit handelt, die zudem an Parkanlagen grenzt und mit den benachbarten Hanglagen des Stuttgarter Nordens über gleichfalls günstige Voraussetzungen verfügt. Das Untersuchungsgebiet ist jedoch von sehr stark belasteten Straßenzügen umgeben. Es wird darauf ankommen, die neuen Bauflächen effektiv zu erschließen, ohne damit eine Ausweitung immissionsbelasteter Bereiche in das Entwicklungsgebiet hinein zu fördern. Die heute geringe Freisetzung von Luftschadstoffen sollte auch ein künftiges Merkmal des Entwicklungsgebietes bleiben. Dies setzt eine im Versorgungsgebiet emissionsfreie Energie- bzw. Heizwärmeversorgung voraus.
Im Sinne der angestrebten Transparenz des Planungsgeschehens Stuttgart 21 sind in der Schriftenreihe „Untersuchungen zur Umwelt „Stuttgart 21“ des Amts für Umweltschutz die vorliegenden Originalgutachten des Untersuchungsprogramms veröffentlicht. Das Stadtklimainformationssystem „Stadtklima 21“ ist ergänzt und überarbeitet in der Version 5 auf DVD verfügbar. Das Informationssystem zum Stadtklima erlaubt die räumliche Darstellung von punktuellen, linienhaften und flächenhaften Daten zum Stadtklima von Stuttgart. Weiterhin können Informationen zu Kaltluftflüssen und deren Bewegungsbahnen dargestellt bzw. animiert werden (erhältlich beim Amt für Umweltschutz). Darüber hinaus werden die Beiträge zu Klima, Luft und Lärm für die Planung im Rahmen dieser Webseiten einer noch größeren Interessengruppe zugänglich gemacht.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolfgang Schuster - Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart