Sehr geehrter Herr Böhringer,
ich bedanke mich für Ihre Fragen zu Stuttgart 21, auf die ich gerne eingehe.
Der Konzeption von Stuttgart 21 ging in den 80er und 90er Jahren eine langjährige Prüfung und Abwägung verschiedenster Ausbauoptionen voraus. Zu diesen Überlegungen zählten auch Gedanken, den Stuttgarter Fern- bzw. Hauptbahnhof aus dem Zentrum heraus zu verlagern, beispielsweise nach Bad Cannstatt. Diese Grundsstzstudien wurden letztlich zu den Akten gelegt, da speziell in Bad Cannstatt die von dichter Bebauung umgebenen Bahnanlagen aufwendig unter laufenden Betrieb um- und ausgebaut werden hätten müssen. Insbesondere wäre auch die hervorragende Anbindung des heutigen Hauptbahnhofs an den Großteil des öffentlichen Verkehrs (S-Bahn, Stadtbahn, Busse) ebenfalls an den Neckar verlagert zu verlagern gewesen. Unter dem Strich wäre damit mit enormen Aufwand ein neuer Hauptbahnhof außerhalb des Stadtzentrums entstanden.
Obwohl im Rahmen des Stresstests der detaillierte Nachweis erbracht wurde, dass der neue Bahnknoten zur Spitzenstunde wenigstens 30 Prozent mehr Zugankünfte als die heutigen Anlagen bewältigen und dabei sogar Verspätungen abbauen kann, sind in der Planung von Stuttgart 21 sehr wohl bereits mehrere Ausbauoptionen mit berücksichtigt, um ein langfristig noch wesentlich größeres Wachstum zu bewältigen.
So hat angesichts stetig steigender Fahrgastzahlen der Verband Region Stuttgart bereits in den 1990er Jahren Überlegungen für einige grundlegende langfristige Ausbaumaßnahmen für die S-Bahn im Zentrum der Stadt angestellt. Neben einer S-Bahn-Direktverbindung zwischen Bad Cannstatt und Feuerbach (T-Spange) ging daraus auch das Nordkreuz hervor - ein neues S-Bahn-Drehkreuz am Nordbahnhof. In diesem Zusammenhang würde die Gäubahn im Talkessel als zusätzliche S-Bahn-Stammstrecke genutzt. Darüber hinaus sind mit der P-Option auch zwei zusätzliche Gleise aus Richtung Feuerbach in der Planung berücksichtigt. Unter http://www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/details/s21-neuor... haben wir weitergehende Informationen zu diesen drei Ausbauoptionen zusammengestellt.
Um langfristig die Realisierung des Nordkreuzes offenzuhalten, wird die Gäubahn-Trasse im Regionalplan als langfristig zu erhalten geführt und damit für anderweitige Nutzungen gesperrt. Falls die Pläne bei einem stark wachsenden Verkehrsbedürfnis in Zukunft umgesetzt werden sollten, würden die Stadt Stuttgart (als Eigentümerin der Gäubahn-Flächen), der Verband Region Stuttgart (als Aufgabenträger der S-Bahn), das Land (als Aufgaben- träger des Regionalverkehrs) und die Deutsche Bahn Gespräche aufnehmen.
Die Realisierung der drei Optionen hängt maßgeblich vom Verkehrs- aufkommen der fernen Zukunft ab. Es wäre nicht wirtschaftlich, lediglich für sehr seltene Betriebsstörungen zusätzliche Infrastruktur zur Umfahrung des Stuttgarter Hauptbahnhofs bereitzuhalten. Nichtsdestotrotz kann der neue Bahnknoten dank seiner zusätzlichen Zufahrten und seiner wesentlich größeren Kapazität mit vielen Betriebsstörungen deutlich besser umgehen als der heutige Kopfbahnhof.
Im Übrigen umfasst Stuttgart 21 nicht nur den neuen Stuttgarter Haupt- bahnhof, sondern allein vier neue Bahnhöfe und mehr als 50 Kilometer neue Gleisanlagen - darunter gut ein Drittel der neuen Schnellverbindung zwischen Stuttgart und Ulm. In der Kombination dieser Teile entfaltet Stuttgart 21 seinen vollen Nutzen, der weit über den bloßen Neu- bzw. Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs hinausgeht.
Ich hoffe, Ihre Frage damit zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet zu haben und stehe für Rückfragen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Dietrich