Liebe direktzu®-Nutzer,

32.000 Menschen haben abgestimmt, mehr als 650 Fragen wurden beantwortet – dies ist die Bilanz der Bürgerdialogplattform „Direktzu Stuttgart 21“, die im September 2010 online ging. Seitdem wurde von unseren Fachleuten detailliert Stellung bezogen zu vielen Themen rund um das Bahnprojekt Stuttgart–Ulm. Alle unsere Antworten auf Ihre wichtigsten Fragen finden Sie hier auf dieser Plattform.

Seit 2010 hat sich das Projekt grundlegend verändert. Es geht nicht mehr um das „ob“, sondern um das „wie“. Nach Jahren der Planung und des politischen Diskurses treten die Umsetzung des Bahnprojektes und damit die Bauarbeiten immer mehr in den Vordergrund, was an vielen Stellen der Stadt und entlang der Autobahn nach Ulm zu sehen ist.

Für die zunehmenden Fragen rund ums Bauen haben wir ein „Informationszentrum“ eingerichtet, über welches sich insbesondere betroffene Bürgerinnen und Bürger rund um die Uhr an sieben Tagen pro Woche über das aktuelle Baugeschehen informieren können.

Wir freuen uns weiterhin über Ihr Interesse an unserem Projekt.

Beantwortet
Autor Hans Vonier am 24. September 2010
41286 Leser · 35 Stimmen (-4 / +31)

Sicherheit: Mineralquellen, Häuser, Tunnel, Gipskeuper

Kritik seitens der Gegner bez. Bodenbeschaffenheit in Stgt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin S 21-Befürworter, und habe mit den Gegnern
in anderen Foren schon heftige Auseinandersetzungen,
bez. der Gipskeuper. Es wird behauptet, dass es keine
100% Sicherheit geben wird, dass nicht das gleiche passiert,
wie in Staufen. Herr Frei Otto, ehem. Mitschöpfer des
Projektes, lieferte den Gegner ja umfangreiche Argumente.
Wie kann man da den Gegnern jetzt plausibel erklären,
dass das nicht der Fall wäre, und hier kein Risiko besteht?
Würde mich freuen, wenn Sie mir da weiterhelfen könnten.

Freundliche Grüße aus Kirchheim-Teck,
Hans Vonier

+27

Über diesen Beitrag kann nicht mehr abgestimmt werden, da er bereits beantwortet wurde.

Antwort
von Dr. Volker Kefer am 21. Oktober 2010
Dr. Volker Kefer

Sehr geehrter Herr Vonier,

der mit der Tragwerksplanung für den neuen Bahnhof beauftragte Professor Dr. Dr. Werner Sobek hat in einem Interview in unserer Bauzeitung DIALOG21 (2. Ausgabe, September 2010) umfassend Fragen zu möglichen Risiken beantwortet. Dieses möchte ich Ihnen gerne in Gänze zur Verfügung stellen, da er darin die von Ihnen aufgeführten Punkte profund beantwortet.


Seit vergangenem Jahr ist der Ingenieur und Architekt Werner Sobek mit der Tragwerksplanung für den neuen Bahnhof beauftragt, den Architekt Christoph Ingenhoven mit Frei Otto entwickelt hat. Professor Werner Sobek ist an der Universität Stuttgart Nachfolger des Architekten Frei Otto und des Bauingenieurs Jörg Schlaich. Im Jahr 2000 hat Werner Sobek die beiden berühmten Lehrstühle vereinigt und daraus das Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) gegründet. Laut diverser Zeitungsberichte sieht sich Frei Otto jetzt „moralisch verpflichtet“, aus Sicherheitsgründen den Baustopp von Stuttgart 21 zu fordern. DIALOG 21 hat Werner Sobek zu den Vorwürfen über mögliche Risiken befragt.

  • Herr Sobek, Frei Otto hat Bedenken zur Sicherheit von Stuttgart 21 geäußert und den Baustopp von Stuttgart 21 gefordert. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?

Zunächst einmal: Frei Otto hat als Architekt wie kaum ein anderer das Bauen mit leichten Flächentragwerken vorangebracht und er war einer meiner wichtigen akademischen Lehrer. Leider aber sind die von ihm im „Stern“ gemachten Äußerungen, die ja auch die in meiner Verantwortung stehenden Planungsarbeiten am Bahnhof direkt betreffen, sachlich falsch und wissenschaftlich inakzeptabel. Ich bedaure dies sehr und es fällt mir schwer, das kommentieren zu müssen. Aber: Als „Mitschöpfer“ des Bahnhofs muss Herr Otto wissen, dass allein das Eigengewicht der Bahnhofskonstruktion und ihrer Gründung ausreicht, um ein Aufschwimmen der Konstruktion zu verhindern. Wie hätte er sonst jahrelang an einer derartigen Konstruktion mitplanen können, ohne zu dilettieren? Es ist uns Fachleuten unverständlich, warum Herr Otto jetzt an die Öffentlichkeit tritt und alle, die keine Fachleute in Gründungsfragen sind, derart zu verunsichern versucht.

  • Frei Otto hat Bedenken geäußert, der neue Tiefbahnhof könne durch den Eigenauftrieb aus der Erde hochsteigen. Können Sie auf einfache Art und Weise erklären, wie Sie dies als Tragwerksplaner verhindern werden?

Die Gründung des Tiefbahnhofs ist eine Kombination aus rund 2.800 Betonpfählen, die bis zu 15 Meter tief in den Boden gerammt werden. Dazu kommen zusätzlich rund 900 Zugpfähle im südlichen Teil sowie die Gründungsplatte, die zwischen 1,60 und 2,50 Metern dick ist. Schließlich gibt es noch die anderen Konstruktionselemente des Bahnhofs wie z. B. die Seitenwände oder die Lichtaugen. Allein das sich hieraus ergebende Eigengewicht des Bahnhofs ist größer als der Auftrieb des Bauwerks. Hinzu kommt noch die eigentliche Verankerungswirkung der Pfahlgründung! Jetzt erkennt auch der Nichtfachmann, dass das Gerede von einem Aufschwimmen schlichtweg Unfug ist.

Es gibt zum Gesamtkomplex des Bahnhofs verlässliche Bodengutachten und aufwendige Computersimulationen, welche die Auswirkungen des Grundwassers auf das Bauwerk auch im ungünstigsten Fall berücksichtigen. Diese Werte sind zudem natürlich noch mit Sicherheitspuffern versehen. Es ist doch naiv zu glauben und böswillig zu behaupten, dass die beteiligten Tragwerksplaner, die unabhängigen Prüfingenieure oder gar die Baufirmen beim Bau des Bahnhofs das Risiko eines „Aufschwimmens“ eingehen würden. Warum denn? Hier sind doch keine Stümper am Werk.

  • Die Kritiker sagen, die Pfahlgründungen könnten die Mineralquellen gefährden. Sehen Sie diesbezüglich mögliche Risiken?

Das Mineralwasser beginnt im Bereich des Bahnhofs in rund 60 Metern Tiefe, es liegt somit 50 Meter (!) unter der Bodenplatte, das heißt der Sohle des Bahnhofs. Die tiefsten Stellen der Gründung, also die Enden der Pfähle, enden in ca. 15 Metern Tiefe unter der Bodenplatte. Zwischen der tiefsten Stelle der Gründung und dem Mineralwasserhorizont liegt eine mehr als 35 Meter starke, wasserundurchlässige Schicht, die Grundwasser und Mineralwasser voneinander trennt. In Stuttgart wird vielfach im Grundwasser gebaut. Zahlreiche Tiefgaragen Stuttgarts, vor allem aber die Stuttgarter S- und U-Bahn-Tunnel, liegen noch viel tiefer als der zukünftige Stuttgarter Bahnhof. Die Stuttgarter Ingenieure wissen, wie sie mit unserem Baugrund umgehen müssen. Die beauftragten Baugrundgutachter gehören zudem zu den besten Europas.

  • Es war auch die Rede davon, dass sich Krater bilden könnten, in denen ganze Häuser verschwinden. Können Sie auch diesbezüglich Entwarnung geben?

Es gibt im Stuttgarter Untergrund über Jahrtausende ausgelaugten Gipskemper, der auch Hohlstellen aufweisen kann. Für den Bahnhofsbereich wurden umfängliche geotechnische Untersuchungen durchgeführt, die auch einige verstürzte beziehungsweise verfüllte Hohlräume dokumentieren. Aber es kann keine Rede davon sein, dass dort Hohlräume zu erwarten sind, in denen größere Objekte oder gar Häuser verschwinden könnten. Ich weiß nicht, wie viel Unfug sich die Bürgerinnen und Bürger noch auftischen lassen wollen.

Der Baugrund im Stuttgarter Talkessel weist aber sogenannten Anhydrit auf, also quellfähige Gipskeuperschichten, die sich bei Kontakt mit Feuchtigkeit enorm ausdehnen können. Die Pfähle reichen in diese Schichten hinab. Kann der Gips dann quellen und auf lange Sicht große Schäden in der Stadt anrichten?

Im Bereich der Gründung des neuen Hauptbahnhofs gibt es keine Bodenformationen, die Anhydrit enthalten.

  • Und wie verhält es sich mit den Eichenpfählen, die dem Bahnhof seit mehr als 100 Jahren Standsicherheit verleihen – können diese durch die Absenkung des Grundwassers Schaden nehmen und den Bonatz-Bau zum Einsturz bringen?

Bisher wurden bei den Untersuchungen zur Gründung des Hauptbahnhofs nur Betonpfähle entdeckt. Aber selbst wenn es auch irgendwo noch Eichenpfähle geben würde, wäre das unkritisch, denn der Untergrund des Bahnhofs ist von der Grundwasserabsenkung nicht betroffen. Es werden also überhaupt keine Fundamente trockengelegt. Im Übrigen wird nach Fertigstellung des neuen Bahnhofs kein Grundwasser mehr abgepumpt werden. Der alte Grundwasserhorizont wird sich alsbald nach Abschluss der Baumaßnahme wieder einstellen.

  • Es melden sich derzeit viele Menschen zu Wort, die die Risiken scheinbar besser kennen als die Planer selbst. Wie kann der Laie im Überangebot komplexer Gutachten und Details nachvollziehen, wer im Recht ist?

Ich beobachte, dass in unserer Gesellschaft und insbesondere in den Medien Fakten und persönliche Meinungen zunehmend einander gleichgesetzt bzw. als gleichwertig betrachtet werden. Inhaltlich abgesicherte Fachkompetenz versus individueller Emotion, eingebettet in den Verweis auf das Recht zur freien Meinungsäußerung. Zu was das führt, können Sie in einigen der bundesdeutschen Talkshows schon heute sehen. Jede intellektuelle Latte wird locker untersprungen. Hauptsache, das Ganze ist für den Augenblick sensationell, stellt jemand anderen in ein schlechtes Licht und/ oder macht Spaß. Seriöse Recherche oder gar die Wahrheit sind sekundär. Mir macht die breite Akzeptanz dieses Trends Angst.

Ein weiteres Phänomen, das gerade bei S21 sehr deutlich zu Tage tritt, ist das scharenweise Auftreten von selbsternannten Fachleuten und Gutachtern, die im Schnellverfahren zu großen Aussagen gelangen oder die auch schon einmal in ihnen bis dato völlig fremden Fachbereichen wandern und dort flott laute Urteile abgeben. Der Beifall ist allemal sicher, aber um welchen furchtbaren berufsethischen Preis!

Beim Projekt S21 wurde es versäumt, uns Bürger mit klaren Informationen zu versorgen. Andererseits war aber auch nicht erwartbar, dass sich so viele selbst für das kleinste Detail der Baumaßnahme interessieren. Hier sollte man doch auch einmal ehrlich sein. Die Baumaßnahme ist extrem komplex und deshalb nur schwer in allen Einzelheiten in einfacher Form zu vermitteln und zu verstehen. Aber – wenn dem so ist, dann muss man alles tun, um dieses Interesse so gut wie möglich zu befriedigen.

Abschließend müssen wir doch aber auch einmal einen Punkt machen. Es kann eben nicht jeder mal so nebenbei zum Fachmann in komplizierten bautechnischen Einzelfragen ausgebildet werden. Man muss deshalb zu manchen Fragen auch einmal schweigen können. Und schließlich: Jeder von uns nimmt für sich in Anspruch, dass er in seinem Beruf als Mensch und als Fachmann anerkannt wird. Und wir nehmen in Anspruch, dass die eigene Fachkompetenz nicht permanent von anderen angezweifelt, gar angepöbelt wird. Wer diesem zutiefst menschlichen Standpunkt zustimmt, der sollte auch die Fachkompetenz all derjenigen anerkennen, die S21 planen.


Mit freundlichen Grüßen

Dr. Volker Kefer - Vorstand Technik, Systemverbund, Dienstleistungen und Infrastruktur der DB