Sehr geehrter Herr Dreßler,
ich kann Ihren Unmut über auftretende Störungen bei Ihren Bahnfahrten im Grundsatz verstehen, muss aber dem Eindruck widersprechen, weite Teile der Finanzierung von Stuttgart 21 könnten einfach so für das Bestandsnetz oder das Rollmaterial gesteckt werden.
Die Deutsche Bahn investiert allein in die Schienen-Infrastruktur jedes Jahr gut fünf Milliarden Euro. Weitere Milliarden fließen in die anhaltende Erneuerung und den Ausbau der Fahrzeugflotte. In das Projekt Stuttgart 21 investiert die Bahn – verteilt über mehr als ein Jahrzehnt – wenigstens 1,7 Milliarden Euro, zuzüglich möglicher Beiträge aus dem erweiterten Finanzierungsrahmen. Gemessen an den Gesamtinvestitionen sticht die grundlegende Neuordnung eines der größten Bahnknoten in Süddeutschland nicht heraus.
Das Projekt rechnet sich dabei auch rein betriebswirtschaftlich für die Bahn, beispielsweise durch zusätzliche Fahrkartenverkäufe durch schnellere, direkte Verbindungen, durch geringere Instandhaltungsaufwendungen, aber auch durch den Verkauf der nicht mehr für den Bahnbetrieb notwendigen Flächen. Diese Erlöse würden bei einem bloßen Substanzerhalt in Stuttgart entfallen.
Nichts zu investieren wäre im Übrigen auch keine Alternative, denn um weitreichende Investitionen in den Bahnknoten Stuttgart käme die Bahn in den nächsten Jahren in keinem Fall herum. Gerade die weitläufigen, rund 2,5 Kilometer langen und teilweise mehrere hundert Meter breiten Anlagen des Stuttgarter Hauptbahnhofs können nach bald 100 Betriebsjahren nicht mehr ewig weitergenutzt werden. Anstatt einer aufwendigen Runderneuerungen unter laufendem Betrieb entschied sich die Bahn daher – zusammen mit den weiteren Projektpartnern und nach jahrelangen Vorplanungen, Prüfungen und Abwägungen – bewusst gegen einen bloßen Substanzerhalt und für einen großen Wurf. Das erste große 21er Projekt war geboren.
Mit Stuttgart 21 entsteht einer der besten deutschen Bahnknoten, mit deutlich kürzeren Fahrzeiten, viel mehr Kapazität und einzigartigen Möglichkeiten für die Entwicklung der Stadt Stuttgart. Dabei geht es auch um weit mehr als einen Bahnhof (den Stuttgarter Hauptbahnhof). Im Rahmen des facettenreichen Verkehrs- und Städtebauprojekts entstehen fast 60 Kilometer neue Schienenwege, drei neuen Personenbahnhöfe und ein neuer Abstell- und Wartungsbahnhof. Dazu gehört übrigens auch fast ein Drittel der Schnellverbindung nach Ulm.
Vorstand und Aufsichtsrat der Bahn haben ihre Entscheidung für die Erweiterung des Finanzierungsrahmens eingehend begründet. Auf unserer Internetseite finden Sie dazu weitere Hintergrundinformationen beispielsweise unter http://www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/no_cache/mediathe... Und http://www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/mediathek/detail/.... Diese Dokumente reihen sich ein in eine lange Liste von Dokumenten, in denen wir regelmäßig und ohne Umschweife über den aktuellen Stand des Projekts – einschließlich der erwarteten Kosten – informiert haben. Zu darauf aufbauenden konkreten Vorwürfe und Rückfragen nehmen wir darüber hinaus sehr gerne Stellung.
Die Deutsche Bahn hat im Zuge der Aufsichtsratssitzung am 12. Dezember 2012 auch eingehend begründet, dass sie das Projekt mit dem heutigen Wissen nicht mehr beginnen würde, eine Fortführung des laufenden Projekts allerdings schon rein wirtschaftlich günstiger ist als ein Projektabbruch. Die Kosten für den dringend notwendigen Ausbau des Stuttgarter Bahnknotens oder gar eine Schnellfahrstrecke in Richtung Ulm wären darin noch nicht enthalten. Ihr Vorschlag, das Projekt abzubrechen, lässt sich aus unserer Sicht rational nicht begründen.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Dietrich