Sehr geehrte Frau Voß,
gerne beantworte ich Ihre Rückfrage zum neuen Stuttgarter Hauptbahnhof.
Wie wir bereits mehrfach dargelegt haben, sind Längsneigungen in deutschen Bahnhöfen und Haltepunkten absolut nichts Ungewöhnliches. Neigungen, in denen ungebremste Fahrzeuge wegrollen würden, gibt es an vielen hundert Bahnhöfen in Deutschland. Dazu zählt unter anderem auch der heutige Stuttgarter Hauptbahnhof und die darunter liegende S-Bahn-Station. In zahlreichen Bahnhöfen halten dabei auch Züge in Bahnsteiggleisen, die den von Ihnen angesprochenen Richtwert von maximal 2,5 Promille Längsneigung um ein Vielfaches überschreiten. Dazu gehört beispielsweise der Kölner Hauptbahnhof, aber auch stark frequentierte Regional- und S-Bahn-Bahnhöfe. Wir haben dazu vielfach Stellung genommen.
Natürlich sind waagrechte Gleise auch deshalb wünschenswert, damit ohne Bremsen und jedwede weitere Sicherungen abgestellte Fahrzeuge nicht wegrollen. Aufgrund zwingender örtlicher Randbedingungen konnte und kann diesem Ideal in weiten Teilen des Eisenbahnnetzes nicht gefolgt werden. Der neue Stuttgarter Hauptbahnhof reiht sich dabei in eine kaum überschaubare Kette von Stationen ein, an denen Topographie und andere Randbedingungen es nicht erlauben, waagrechte Gleise anzulegen.
Mit der von Ihnen angeführten Vorschrift der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (§ 7 (2) EBO) soll verhindert werden, dass ungebremst abgestellte Wagen sich selbst dann nicht ohne Weiteres in Bewegung setzen können, wenn Bremsen nicht angezogen werden und sämtliche weiteren Sicherungen nicht funktionieren. Die Vorschrift bezog und bezieht sich ausdrücklich nicht auf Bahnsteige oder den Fahrgastwechsel besetzter Züge. Die in der über 100 Jahre alten Regel vorgesehenen 2,5 Promille sind bei modernen, leichtlaufenden Fahrzeuge ohnehin mehr als ausreichend, um ungebremste Fahrzeuge durch bloße Schwerkraft in Bewegung zu setzen. Da Fahrzeuge auch durch andere Einflüsse,beispielsweise Wind, bewegt werden können, sind bei bei jedem Halt auch immer Bremsen anzulegen – selbst wenn ein Gleis perfekt eben zu sein scheint.
Es gehört selbstverständlich zum verantwortungsvollen Beruf des Triebfahrzeugführers, Züge unter Beachtung einer Vielzahl von Randbedingungen nicht nur sicher zu bremsen, sondern auch gebremst zu halten. Steigungen und Gefälle sind dabei nur zwei von vielen Faktoren, die Einfluss auf Bremsweg und Bremsverhalten eines Zuges nehmen. Die Fahrzeugführer werden durch eine stetig wachsende Zahl von Sicherheits- systemen unterstützt. Bei einem modernen ICE werden im neuen Stuttgarter Hauptbahnhof beispielsweise ein halbes dutzend solcher Systeme dafür sorgen, dass ein haltender Zug selbst unter ungünstigsten Umständen während des Fahrgastwechsels in Bewegung kommen kann. Dazu zählen mehrfache (redundante) Bremssysteme und Bedieneinrichtungen (Betriebs- und Zusatzbremse, AFB) ebenso wie die metergenaue Überwachung und Führung der Fahrzeuge (ETCS) und eine ständige Rollüberwachung, die verhindert, dass sich der Zug auch nur um einen Meter bewegen kann, so lange auch nur eine Tür geöffnet ist. Auch die Technik bei den übrigen Fern- und Regionalzügen machte und macht enorme Fortschritte.
Sehr geehrte Frau Voß, es kommt nicht von ungefähr, dass die Eisenbahn heute das mit Abstand sicherste Massenverkehrsmittel in unserem Lande ist. Die Bahn unternimmt alles für einen sicheren Bahnbetrieb und die Sicherheit der Bahnreisenden mit dem Ziel, das Sicherheitsniveau stetig zu verbessern.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Dietrich