Sehr geehrter Herr Schnepp,
gerne beantworte ich Ihre Frage und bitte für die entstandenen Verzögerungen um Entschuldigung.
Das Projekt Stuttgart 21 wurde in sieben Planfeststellungsabschnitte gegliedert. In fünf Abschnitten liegt die amtliche Baugenehmigung (Planfeststellung) vor. In den Abschnitten 1.3 (Filderbereich mit Flughafenanbindung) und 1.6b (Abstellbahnhof Untertürkheim) wurde das Verfahren dagegen noch nicht abgeschlossen.
Im Gegensatz zu den langen Tunnelbauten, die zwingend etwa fünf bis sechs Jahre Bauzeit in Anspruch nehmen, lässt sich eine gut erreichbare Flächenbaustelle wie der geplante Abstellbahnhof vergleichsweise einfach und schnell vorantreiben. Auch der Filderabschnitt mit seinen vergleichsweise kurzen Tunneln kann in kürzerer Zeit als die beiden beauftragten Tunnel auf die Fildern (9,5 km) und nach Obertürkheim (6,0 km) gebaut werden.
Manche Kritiker sehen insbesondere in dem noch nicht abgeschlossenen Verfahren für den Filderabschnitt einen schweren Mangel und vermuten gar eine mangelhafte Qualität der eingereichten Pläne. Dem ist aber nicht so. Tatsächlich hat die Deutsche Bahn im Jahr 2002 für den Abschnitt 1.3 Pläne beim Eisenbahn-Bundesamt eingereicht. Seither wurden eine Reihe von Fragestellungen zwischen der Behörde, dem Bundesverkehrsministerium und weiteren Beteiligten erörtert. Die daraus hervorgegangenen Änderungen flossen in eine aktualisierte Planung ein, die momentan vom Eisenbahn-Bundesamt geprüft und in Kürze veröffentlicht wird. Gerade weil eine Vielzahl fachlicher Fragestellungen erörtert und ausgeräumt wurden, steht grundsätzliche Genehmigungsfähigkeit des Abschnitts dabei außer Frage. Die exakte Form und Lage des noch zu genehmigenden Flughafenbahnhofs, aber beispielsweise die noch nicht endgültig geklärte Streckenverlauf zwischen dem Flughafen und der Rohrer Kurve haben keinen Einfluss auf den genehmigten Großteil des Projekts. Befürchtungen, der Filderabschnitt sei dabei nicht genehmigungsfähig und der Fildertunnel werde ohne Anschluss bleiben, sind völlig unberechtigt.
Es ist bei solchen Großprojekten in Deutschland üblich, mit dem Bau zu beginnen, obwohl noch nicht jeder einzelne Bauabschnitt genehmigt ist. Lassen Sie mich Ihnen den rechtlichen Rahmen hierzu kurz erläutern: Es gilt der (rechtliche und planerische) Grundsatz, dass komplexe Großvorhaben in einzelne Abschnitte unterteilt werden können. Diese einzelne Abschnitte kann der Vorhabenträger (DB AG) selbst festsetzen. Sie können sowohl bei der Planung als auch bei der Genehmigung und bei der Ausführung gebildet werden. Dies steigert vor allem die Übersichtlichkeit des Projekts. Stellen Sie sich vor, wie viele Bürgerinnen und Bürger sich sonst in den betroffenen Gemeinden von Stuttgart bis Ulm zu einem bestimmten Zeitpunkt die Planfeststellungsunterlagen anschauen müssten, wenn es nur einen großen Abschnitt gäbe. Der Umfang der Unterlagen wäre nicht mehr zu überblicken. Wenn einzelne Abschnitte genehmigt wurden, können diese auch sofort gebaut werden - sofern das Gesamtkonzept als realisierbar bestätigt wird. De facto hat das EBA und das VGH in seinem Urteil 2006, mit der Beurteilung der Rechtsmäßigkeit der Planung für den Abschnitt 1.1 die Realisierbarkeit des Gesamtkonzeptes faktisch bestätigt. Anders wäre es ja auch nicht möglich, da sich die Genehmigung des PFA 1.1 im luftleeren Raum befände und nicht Teil eines abgestimmten Gesamtkonzeptes wäre. Dem Gesamtvorhaben wurde quasi in einer Art Vorausschau ein "positives Gesamturteil" bescheinigt. Deswegen geht es bei den noch ausstehenden PFB (1.3, 1.6b) nicht um die grundsätzliche Genehmigungsfähigkeit sondern um die konkrete Ausgestaltung. Es geht also nicht um das OB (überhaupt) sondern nur noch um das WIE. Alle Bahnprojekte mit neuer Trassenführung werden so gebaut.
Auch für die Neubaustrecke zwischen Mannheim und Stuttgart begannen die Arbeiten im Jahr 1976, obwohl für den Großteil der Strecke noch keine Baugenehmigung vorlag. Über den grundsätzlichen Verlauf der Trasse war zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehende Einigkeit zwischen der damaligen Bundesbahn, dem Bund und dem Land hergestellt worden. Mit vorliegenden Genehmigungen für etwa fünf von sieben Abschnitten des Projekts ist Stuttgart 21 im historischen Vergleich zu diesen und vielen anderen Projekten sehr weit gediehen.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Dietrich