Liebe direktzu®-Nutzer,

32.000 Menschen haben abgestimmt, mehr als 650 Fragen wurden beantwortet – dies ist die Bilanz der Bürgerdialogplattform „Direktzu Stuttgart 21“, die im September 2010 online ging. Seitdem wurde von unseren Fachleuten detailliert Stellung bezogen zu vielen Themen rund um das Bahnprojekt Stuttgart–Ulm. Alle unsere Antworten auf Ihre wichtigsten Fragen finden Sie hier auf dieser Plattform.

Seit 2010 hat sich das Projekt grundlegend verändert. Es geht nicht mehr um das „ob“, sondern um das „wie“. Nach Jahren der Planung und des politischen Diskurses treten die Umsetzung des Bahnprojektes und damit die Bauarbeiten immer mehr in den Vordergrund, was an vielen Stellen der Stadt und entlang der Autobahn nach Ulm zu sehen ist.

Für die zunehmenden Fragen rund ums Bauen haben wir ein „Informationszentrum“ eingerichtet, über welches sich insbesondere betroffene Bürgerinnen und Bürger rund um die Uhr an sieben Tagen pro Woche über das aktuelle Baugeschehen informieren können.

Wir freuen uns weiterhin über Ihr Interesse an unserem Projekt.

Beantwortet
Autor Otto Schnepp am 11. Mai 2011
24783 Leser · 23 Stimmen (-5 / +18)

Baustelle: Bauphasen, Logistik, Emissionen

Stand der Planfeststellung

Guten Tag,

kürzlich besuchte ich das Turmforum und nahm dort an einer Führung teil. Es wurde den Besuchern der Eindruck vermittelt, dass die Planfeststellung der einzelnen Abschnitte entweder abgeschlossen oder aber in der Endphase seien, also kurz vor Erteilung der Baugenehmigung. Ich erinnere mich, dass ein Teilnehmer der Führung explizit den Bauabschnitt auf die Fildern ansprach, und auch hier wurde der Eindruck vermittelt, dass die Baugenehmigung bald erteilt würde.

Nun lese ich diesen Artikel: http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.freiwillig-g...

Hieraus geht hervor, dass das Planfeststellungsverfahren für die Anbindung auf die Fildern zumindest in Teilen noch nicht einmal beantragt wurde. Ein Bekannter erwähnte, dass auch die Planfeststellung für den zu bauenden Flughafenbahnhof noch nicht eingereicht sei, bzw. das Eisenbahnbundesamt die Anträge der Bahn seit Jahren immer wieder zur Nachbesserung zurückweist. Es fiel das Wort "nicht genehmigungsfähig".

Hieraus ergibt sich für mich folgende Frage

Ich habe verstanden, dass ein unterirdischer Bahnhof, der durch Tunnel mit den Fildern verbunden ist, nur dann sinnvoll ist, wenn es irgendwo einen Tunnelausgang gibt, also der Flughafenbahnhof tatsächlich gebaut würde.

Wie also kann man im Talkessel bereits den Bau des Tiefbahnhofes beginnen, dort Veränderungen vornehmen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind, wenn es zweifelhaft ist, ob ein unverzichtbarer Bauabschnitt überhaupt gebaut werden kann?

Dies wäre doch verantwortungslos, insbesondere in Anbetracht der deutlichen Ablehnung des Projektes unter der Stuttgarter Bevölkerung und der durch solche verfrühten Maßnahmen verursachten Mehrkosten, die dann vermutlich sozialisiert werden würden.

Ich bitte um Ihre Stellungnahme.

MfG
O. Schnepp

+13

Über diesen Beitrag kann nicht mehr abgestimmt werden, da er bereits beantwortet wurde.

Antwort
von Wolfgang Dietrich am 20. Februar 2012
Wolfgang Dietrich

Sehr geehrter Herr Schnepp,

gerne beantworte ich Ihre Frage und bitte für die entstandenen Verzögerungen um Entschuldigung.

Das Projekt Stuttgart 21 wurde in sieben Planfeststellungsabschnitte gegliedert. In fünf Abschnitten liegt die amtliche Baugenehmigung (Planfeststellung) vor. In den Abschnitten 1.3 (Filderbereich mit Flughafenanbindung) und 1.6b (Abstellbahnhof Untertürkheim) wurde das Verfahren dagegen noch nicht abgeschlossen.

Im Gegensatz zu den langen Tunnelbauten, die zwingend etwa fünf bis sechs Jahre Bauzeit in Anspruch nehmen, lässt sich eine gut erreichbare Flächenbaustelle wie der geplante Abstellbahnhof vergleichsweise einfach und schnell vorantreiben. Auch der Filderabschnitt mit seinen vergleichsweise kurzen Tunneln kann in kürzerer Zeit als die beiden beauftragten Tunnel auf die Fildern (9,5 km) und nach Obertürkheim (6,0 km) gebaut werden.

Manche Kritiker sehen insbesondere in dem noch nicht abgeschlossenen Verfahren für den Filderabschnitt einen schweren Mangel und vermuten gar eine mangelhafte Qualität der eingereichten Pläne. Dem ist aber nicht so. Tatsächlich hat die Deutsche Bahn im Jahr 2002 für den Abschnitt 1.3 Pläne beim Eisenbahn-Bundesamt eingereicht. Seither wurden eine Reihe von Fragestellungen zwischen der Behörde, dem Bundesverkehrsministerium und weiteren Beteiligten erörtert. Die daraus hervorgegangenen Änderungen flossen in eine aktualisierte Planung ein, die momentan vom Eisenbahn-Bundesamt geprüft und in Kürze veröffentlicht wird. Gerade weil eine Vielzahl fachlicher Fragestellungen erörtert und ausgeräumt wurden, steht grundsätzliche Genehmigungsfähigkeit des Abschnitts dabei außer Frage. Die exakte Form und Lage des noch zu genehmigenden Flughafenbahnhofs, aber beispielsweise die noch nicht endgültig geklärte Streckenverlauf zwischen dem Flughafen und der Rohrer Kurve haben keinen Einfluss auf den genehmigten Großteil des Projekts. Befürchtungen, der Filderabschnitt sei dabei nicht genehmigungsfähig und der Fildertunnel werde ohne Anschluss bleiben, sind völlig unberechtigt.

Es ist bei solchen Großprojekten in Deutschland üblich, mit dem Bau zu beginnen, obwohl noch nicht jeder einzelne Bauabschnitt genehmigt ist. Lassen Sie mich Ihnen den rechtlichen Rahmen hierzu kurz erläutern: Es gilt der (rechtliche und planerische) Grundsatz, dass komplexe Großvorhaben in einzelne Abschnitte unterteilt werden können. Diese einzelne Abschnitte kann der Vorhabenträger (DB AG) selbst festsetzen. Sie können sowohl bei der Planung als auch bei der Genehmigung und bei der Ausführung gebildet werden. Dies steigert vor allem die Übersichtlichkeit des Projekts. Stellen Sie sich vor, wie viele Bürgerinnen und Bürger sich sonst in den betroffenen Gemeinden von Stuttgart bis Ulm zu einem bestimmten Zeitpunkt die Planfeststellungsunterlagen anschauen müssten, wenn es nur einen großen Abschnitt gäbe. Der Umfang der Unterlagen wäre nicht mehr zu überblicken. Wenn einzelne Abschnitte genehmigt wurden, können diese auch sofort gebaut werden - sofern das Gesamtkonzept als realisierbar bestätigt wird. De facto hat das EBA und das VGH in seinem Urteil 2006, mit der Beurteilung der Rechtsmäßigkeit der Planung für den Abschnitt 1.1 die Realisierbarkeit des Gesamtkonzeptes faktisch bestätigt. Anders wäre es ja auch nicht möglich, da sich die Genehmigung des PFA 1.1 im luftleeren Raum befände und nicht Teil eines abgestimmten Gesamtkonzeptes wäre. Dem Gesamtvorhaben wurde quasi in einer Art Vorausschau ein "positives Gesamturteil" bescheinigt. Deswegen geht es bei den noch ausstehenden PFB (1.3, 1.6b) nicht um die grundsätzliche Genehmigungsfähigkeit sondern um die konkrete Ausgestaltung. Es geht also nicht um das OB (überhaupt) sondern nur noch um das WIE. Alle Bahnprojekte mit neuer Trassenführung werden so gebaut.

Auch für die Neubaustrecke zwischen Mannheim und Stuttgart begannen die Arbeiten im Jahr 1976, obwohl für den Großteil der Strecke noch keine Baugenehmigung vorlag. Über den grundsätzlichen Verlauf der Trasse war zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehende Einigkeit zwischen der damaligen Bundesbahn, dem Bund und dem Land hergestellt worden. Mit vorliegenden Genehmigungen für etwa fünf von sieben Abschnitten des Projekts ist Stuttgart 21 im historischen Vergleich zu diesen und vielen anderen Projekten sehr weit gediehen.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Dietrich