Sehr geehrter Herr Wagner,
gerade haben wir mit dem Stresstest "Stuttgart 21" die Leistungsfähigkeit des Stuttgarter Bahnknotens in einem aufwändigen Simulationsverfahren positiv abgeschlossen. Das Testat der Schweizer Gutachterfirma sma ist eindeutig, der Stresstest ist bestanden. In Stuttgart einsteht ein leistungsfähiger moderner Durchgangsbahnhof und ein komplett neu gestalteter Bahnknoten, der eine optimale, effiziente Nutzung der gesamten Infrastruktur in Verbindung zur Neubaustrecke Richtung Ulm ermöglicht. Mit Stuttgart 21 bauen wir insbesondere damit auch die Zuläufe auf den neuen Durchgangsbahnhof aus.
Heute bestehen teilweise schwierige und auch hoch ausgelastete Ein- und Ausfahrten zum Stuttgarter Kopfbahnhof. Neben den Zulaufstrecken z.B. aus Richtung Bad Cannstatt erweisen sich die nur mit 30 bis 60 km/h befahrbaren Weichenbereiche im Gleisvorfeld des Stuttgarter Hauptbahnhofes als Nadelöhr. Damit erreichen Züge die Bahnsteiggleise im Stuttgarter Kopfbahnhof nicht schnell genug. Nicht nur die Einfahrt stellt ein Leistungshemmnis dar, beim Verlassen des Kopfbahnhofes wiederholt sich der Prozess und die damit verbundenen Schwierigkeiten, wenn sich Züge dort gegenseitig behindern. Mit Stuttgart 21 entsteht eine moderne Verkehrsstation, die sich die Vorteile eines Durchgangsbahnhofs konsequent zu Nutzen macht: Zukünftig können Züge bis in den Bahnsteigbereich mit Geschwindigkeiten von 60 bis 100 km/h fahren (heute 20 bzw. 30 km/h). Im neuen Bahnhof sind die Einfahrten optimiert, weniger Weichen und kürzere Wege vermeiden Konflikte, Ein- und Ausfahrten verschiedener Richtungen stehen sich zukünftig nicht mehr im Weg. Darüber hinaus sind die neuen Zulaufstrecken bis kurz vor dem Weichenbereich des Bahnhofes mit 160 km/h (Feuerbach, Flughafen, Obertürkheim) bzw. 120 km/h (Bad Cannstatt) befahrbar. Mit dem neuen Hauptbahnhof gelingt es damit, wesentlich mehr Züge über die Zulaufstrecken in den Bahnhof zu führen.
Es ist richtig, dass eine Umleitung von Regional- bzw. Fernverkehrszügen über die S-Bahn-Gleise aus Richtung Zuffenhausen/Feuerbach zukünftig nicht mehr möglich sein wird. Die testierten Simulationsergebnisse zeigen jedoch, dass die Auswirkungen für den Fern- und Regionalverkehr gering sind. Für die S-Bahn wirkt sich künftige die Nutzung der Strecke allein durch die S-Bahn sogar positiv aus, die Betriebsqualität auf der Stammstrecke der S-Bahn wird sich dadurch verbessern. Denn die heute aufgrund der starken Auslastung der Fern- und Regionalverkehrsgleise notwendige Lösungen, Regional- und Fernzüge über im Fünf-Minuten-Takt befahrene S-Bahn-Strecken von Cannstatt zum Stuttgarter Hauptbahnhof zu führen, wird es zukünftig nicht mehr geben. Davon wird insbesondere der S-Bahn-Streckenabschnitt zwischen Bad Cannstatt und dem Hauptbahnhof profitieren, auf dem heute mehrere dutzend Regionalzüge pro Tag verkehren müssen.
Der S-Bahn-Abschnitt zwischen Zuffenhausen und dem Hauptbahnhof wird allerdings planmäßig nur von einzelnen Regionalzügen außerhalb der Hauptverkehrszeit genutzt. Auch im Störungsfall wird dieser Abschnitt nur im Einzelfall von einzelnen Zügen befahren, da ein Gleiswechsel ohne Kreuzung des jeweiligen Gleises der Gegenrichtung nur von bzw. bis Kornwestheim Personenbahnhof, also rund 10 km vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof, möglich ist. Diese heute bestehende Nutzungsmöglichkeit der S-Bahnstrecken für Fern- bzw. Regionalzüge im Störungsfall ist im Vergleich zu den Vorteilen durch Stuttgart 21 von untergeordneter Bedeutung. In dem schnell befahrbaren und flexibel nutzbaren neuen Hauptbahnhofs kann in praktisch alle Richtungen über wenigstens zwei (teilweise sogar drei) in den Hauptbahnhof einführende Zulaufstrecken gefahren werden. Sollte es zukünftig beispielsweise zu einer Sperrung zwischen Zuffenhausen und dem Hauptbahnhof kommen, besteht die alternative Möglichkeit, Züge über Untertürkheim (Schusterbahn) zum Tunnel Ober-/Untertürkheim und von dort in den Hauptbahnhof einzuführen. Der Betriebsablauf im Bereich der Neubaustrecken-Einführung bei Zuffenhausen und dem Hauptbahnhof wurde im "Stresstest"-Fahrplan (49 Züge) mit 17 Zügen Richtung Hauptbahnhof und 12 Zügen in Gegenrichtung simuliert. Aufgrund der durchweg schnellen Befahrbarkeit, bis in den Hauptbahnhof hinein, können sich Züge in kurzem Abstand folgen, so dass Verspätungen im Stuttgarter Durchgangsbahnhof sogar reduziert werden können.
Eine weitere Steigerung der Zugzahlen könnte beispielsweise durch den Einsatz modernster Leit- und Sicherungstechnik (ETCS), durch Infrastrukturverbesserungen (z.B. schneller befahrbare Weichen) oder durch verbessertes Fahrzeugmaterial erreicht werden. Darüber hinaus ist eine in der fernen Zukunft möglicherweise erforderliche weitere Leistungssteigerungen durch die so genannte "P-Option" realisierbar. Dabei würden zwei zusätzliche Gleise von Zuffenhausen über den weiter bestehenden Fernbahnteil des Pragtunnels zum S 21- Tunnel aus Bad Cannstatt geführt und in Richtung Hauptbahnhof anschließen. Damit stünden neben den beiden Tunnelzuführungen über den Feuerbacher Tunnel, zwei weitere Fahrmöglichkeiten aus Richtung Zuffenhausen zum neuen Durchgangsbahnhof zur Verfügung. Die dazu notwendigen Aufweitungen im Tunnel Bad Cannstatt sind übrigens bereits heute bei Stuttgart 21 bautechnisch vorgesehen und entsprechend planfestgestellt. Damit könnte bei Bedarf dieser Anschluss ohne nennenswerte Beeinträchtigung des laufenden Betriebs realisiert werden.
Stuttgart 21 verbessert die Leistungskapazität des gesamten Bahnknoten mit den Zulaufstrecken deutlich und wie im Stresstest nachgewiesen ist damit eine erhebliche Kapazitätssteigerung gegenüber dem heutigen alten Kopfbahnhof ermöglicht. Mit dem bereits laufenden Bau von Stuttgart 21 werden für die Bahnkunden erhebliche Angebotsverbesserungen auf der Schiene in Stuttgart, der Region Stuttgart und für ganz Baden-Württemberg Realität.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Volker Kefer - Vorstand Technik, Systemverbund, Dienstleistungen und Infrastruktur der DB